Predigt zum Anhören. Musik: Annette und Jörg Backeberg, Anne und Christian Daxer

Predigt über Lk 2,1-20 (Christvesper 2020 auf dem Schulhof der Grundschule am Nollen)
Pfarrerin Deborah Martiny

Predigttext:
1 Es begab sich aber zu der Zeit, dass ein Gebot von dem Kaiser Augustus ausging, dass alle Welt geschätzt würde. 2 Und diese Schätzung war die allererste und geschah zur Zeit, da Quirinius Statthalter in Syrien war. 3 Und jedermann ging, dass er sich schätzen ließe, ein jeglicher in seine Stadt. 4 Da machte sich auf auch Josef aus Galiläa, aus der Stadt Nazareth, in das judäische Land zur Stadt Davids, die da heißt Bethlehem, darum dass er von dem Hause und Geschlechte Davids war, 5 auf dass er sich schätzen ließe mit Maria, seinem vertrauten Weibe; die war schwanger. 6 Und als sie daselbst waren, kam die Zeit, dass sie gebären sollte. 7 Und sie gebar ihren ersten Sohn und wickelte ihn in Windeln und legte ihn in eine Krippe; denn sie hatten sonst keinen Raum in der Herberge. 8 Und es waren Hirten in derselben Gegend auf dem Felde bei den Hürden, die hüteten des Nachts ihre Herde. 9 Und des Herrn Engel trat zu ihnen, und die Klarheit des Herrn leuchtete um sie; und sie fürchteten sich sehr. 10 Und der Engel sprach zu ihnen: Fürchtet euch nicht! Siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird; 11 denn euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus, der Herr, in der Stadt Davids. 12 Und das habt zum Zeichen: Ihr werdet finden das Kind in Windeln gewickelt und in einer Krippe liegen. 13 Und alsbald war da bei dem Engel die Menge der himmlischen Heerscharen, die lobten Gott und sprachen: 14 Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden bei den Menschen seines Wohlgefallens. 15 Und da die Engel von ihnen gen Himmel fuhren, sprachen die Hirten untereinander: Lasst uns nun gehen gen Bethlehem und die Geschichte sehen, die da geschehen ist, die uns der Herr kundgetan hat. 16 Und sie kamen eilend und fanden beide, Maria und Josef, dazu das Kind in der Krippe liegen. 17 Da sie es aber gesehen hatten, breiteten sie das Wort aus, welches zu ihnen von diesem Kinde gesagt war. 18 Und alle, vor die es kam, wunderten sich über die Rede, die ihnen die Hirten gesagt hatten. 19 Maria aber behielt alle diese Worte und bewegte sie in ihrem Herzen. 20 Und die Hirten kehrten wieder um, priesen und lobten Gott für alles, was sie gehört und gesehen hatten, wie denn zu ihnen gesagt war.
(Lukas 2,1-20)


Liebe Gemeinde,
ich lebe zur Zeit im Nebel.
Ohne Brille sehe ich nichts.
Mit Brille und Maske aber auch nicht.
Das kennen alle von Ihnen, die auch Brillenträger sind.

Leider fühlt es sich zur Zeit aber auch in mir drin oft nebelig an.
Weihnachten kommt Gott selbst zur Welt – die gute, die große Botschaft unseres Glaubens.
Und ich stehe im Nebel – in einem Nebel aus Infektionszahlen und Corona-Regeln.

Wie sehr beneide ich manchmal die Hirten: Engel, Musik, Jesus in der Krippe…
Da denke ich: DAS hätte ich sogar durch meine beschlagene Brille mitgekriegt!
„Und die Hirten kehrten wieder um, priesen und lobten Gott für alles, was sie gehört und gesehen hatten.“ endet die Weihnachtsgeschichte.
Gott mit eigenen Augen sehen. Das alles mit eigenen Ohren hören.
So würde ich auch gerne Weihnachten feiern!

Aber war es wirklich so einfach für die Hirten?
Ich fürchte, ganz so einfach hat Gott es ihnen auch nicht gemacht.
Denn was sie sehen und hören in der ersten Heiligen Nacht war gar nicht so eindeutig und leicht zu erkennen:
Lichter am Himmel, fremde Stimmen, ungewöhnliche Gestalten.
Ein Neugeborenes in einem Stall, zwei arme Leute, ein paar Tiere, Stroh und Dreck.
Ich weiß gar nicht, ob ich da wirklich – Brille hin oder her – Gott entdeckt hätte.


Den Hirten gelingt das.
Sie haben keine Angst, genau hinzuschauen, was passiert.
Sie sehen nicht nur, was sie erwarten, sondern das, was wirklich passiert.
Sie ertragen es, nicht sofort alles zu verstehen.
Sie nehmen ganz ohne Vorbehalte an, was da geschieht.
Die Hirten sind bereit, Neues zu entdecken –
und so entdecken sie Gott.

Deshalb sind die Hirten die Richtigen, um uns in diesem Pandemiejahr die Weihnachtsbotschaft nahe zu bringen.

Es ist mir im vergangenen Jahr oft nicht leicht gefallen, Gott zu entdecken in dem Wahnsinn der Pandemie.
Und es fällt mir heute nicht leicht, ihn in dem Nebel aus Schutzkonzepten, Ordnungsdienst, Warnwesten und Teelichtern zu sehen und zu hören.

Aber die Hirten machen mir Mut, dass er da ist.
Gegen alle Wahrscheinlichkeit.
Gegen den Augenschein – Gott ist da.

Weihnachten lässt uns weiter schauen – über den Horizont, über falsche Erwartungen hinaus, jenseits von Angst und Sorgen, hinter die bittere Realität des Alltags.
Dort ist Gott.
Das lerne ich in diesem Jahr ganz neu von den Hirten.
Und noch etwas lerne ich von ihnen:
Gott sehen kann nur, wer seine Angst besiegt.

Weihnachten ist ein Fest gegen die Angst.
Kein Fest ohne die Angst, aber ein Fest gegen die Angst.
Ja, wir wissen nicht, wo es hingeht mit dieser Welt und diesem Virus.
Ja, wir wissen nicht, wie viele Menschen noch sterben müssen.
Aber was wir wissen:
Gott ist da.
Er ist genau da, wo die Menschen Angst haben.
Wo sie leiden.
Wo sie verletzlich sind.
Wo sie allein sind.
Wo sie verzweifeln.
Da ist Gott.
Damals wie heute.

Das haben die Hirten erkannt – gesehen und gehört.

Und: Ja, es wäre schön gewesen, wie sie wirklich an der Krippe zu stehen.
Aber nein: Um Gott zu entdecken, muss ich das nicht.
Das kann ich auch hier und heute – im Pandemiejahr 2020.
Auf dem dunklen und nassen Schulhof in Gengenbach.
Bei einem Weihnachtsfest, das so anders ist als sonst.
Natürlich ist Gott hier.
Ich muss nur hinschauen und hinhören.

Meine Weihnachtsfreude wird immer größer, je länger ich nachdenke darüber, wo und wie ich Gott auch an diesem Weihnachtsfest entdecken kann.
Klar, die inneren Nebel lichten sich nicht auf einmal und ich habe nicht plötzlich klare Sicht.
Und die beschlagenen Brillengläser werden mich noch ein Weilchen begleiten.
Aber ich fange an zu verstehen, dass Gott trotzdem auf diese Welt gekommen ist:
In die Intensivstationen der Krankenhäuser.
Zu denen, die heute Abend allein sind.
Zu denen, die vor dem Nichts stehen.
In die Flüchtlingsbooten auf dem Mittelmeer.
In den Krieg in Syrien und Äthiopien.
Hierher zu uns.

Darum geht es Weihnachten – und das ist heute vielleicht noch wichtiger als in anderen Jahren:
Gott kommt zur Welt.
Wir können ihn sehen, hören und spüren.
Wie die Hirten damals.
Gegen den Augenschein.
Und vor allem: Gegen die Angst.

Die Botschaft der Engel an die Hirten gilt heute auch uns:
Fürchtet Euch nicht, denn Euch ist heute der Heiland geboren!
Amen.