Texte zum dritten Sonntag nach Trinitatis

Wochenpsalm: Psalm 103, 1-13

Predigttext: Micha 7,18-20

Wochenspruch: Der Menschensohn ist gekommen, zu suchen und selig zu machen, was verloren ist. Lukas 19,10

 

Predigttext (Luther 2017)

18 Wo ist solch ein Gott, wie du bist, der die Sünde vergibt und erlässt die Schuld denen, die geblieben sind als Rest seines Erbteils; der an seinem Zorn nicht ewig festhält, denn er hat Gefallen an Gnade!

19 Er wird sich unser wieder erbarmen, unsere Schuld unter die Füße treten und alle unsere Sünden in die Tiefen des Meeres werfen.

20 Du wirst Jakob die Treue halten und Abraham Gnade erweisen, wie du unsern Vätern vorzeiten geschworen hast.

 

Predigt

Liebe Gemeinde,

Wo ist solch ein Gott, wie du bist?“

Das finde ich auch.

Da kann man wirklich lange suchen, bis man einen Gott findet, der so mit unserer Schuld und mit unserem Versagen umgeht.

Sünde wird vergeben und in die Tiefe des Meeres versenkt, Schuld wird unter den Füßen zertreten und erlassen.

Wo ist solch ein Gott, wie du bist?

Der richtige Umgang mit Schuld und Vergebung ist nicht nur in religiöser Hinsicht ein menschliches Dauerthema.

Im Grunde beschäftigt es uns jeden Tag.

Und wir haben größte Schwierigkeiten damit, eigene Fehler einzugestehen, anderen und uns selbst zu vergeben.

Dabei wäre das so wichtig,

denn wer sich selbst nichts vergeben kann, für den werden Schuldgefühl und Scham und Verzweiflung ein ständiger Begleiter sein;

und wer anderen nicht vergeben kann, den wird wohl ständig die Wut packen und Verbitterung wird die Folge sein.

Gott scheint diese Schwierigkeit nicht zu haben. Das verkündigt uns sein Prophet Micha heute:

Gott zertritt unsere Schuld unter seinen Füßen und versenkt unsere Sünden in die Tiefen des Meeres.

Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber in mir lösen diese Bilder zwei ganz merkwürdige Gedanken aus. Zwei Assoziationen typisch für unsere Zeit, die diese alten Bilder treffen.

Als ich gelesen habe, wie die Schuld unter den Füßen zertreten wird, musste ich an jemanden denken, der eine Zigarette zu Boden wirft und austritt.

Das finde ich zunächst recht einleuchtend und passend: Die brennende Schuld wird ausgetreten, brennt nicht mehr und ist nicht mehr schädlich für meine Gesundheit.

Dann aber kommt der seltsame Gedanke: Was ist jetzt mit dem Stummel? Bleibt der etwa liegen. Das ist doch Umweltverschmutzung.

Gleiches gilt für das Versenken der Sünde im Meer. Ist ja schön und gut, dass die Sünde so unerreichbar weit weg sein soll. Sehr einleuchtend.

Dann aber kommt mir dieses Wort aus den Achtzigerjahren wieder in den Sinn: „Verklappung“. Atommüll und Dünnsäure, die einfach in die Tiefe des Meeres gekippt wird. „Entsorgt“ – keine Sorge mehr, zumindest nicht unsere.

Und ich sehe Bilder vor mir von Stränden voll von Plastikmüll, wie man sie seit einigen Jahren immer mal in den Zeitungen sieht.

Und auch an den präparierten Magen eines verendeten Delfins im Museum: Voller Müll, der in die Tiefen des Meeres gekippt wurde.

Ich gebe es gerne zu: Das sind natürlich Gedanken eines Kindes des 20. Jahrhunderts und Micha hat das nicht so gemeint. Aber dennoch lehrt mich das etwas Wichtiges über den Umgang mit Schuld und Sünde:

Wenn Micha hier voller Freude verkündet, dass unsere Schuld unter Gottes Füßen ausgetreten wird und unsere Sünde in der Tiefe des Meeres versinkt, dann ist das kein Freibrief für Fehlverhalten.

Ich darf nicht nach dem Prinzip „aus den Augen aus dem Sinn“ leben.

Wenn mir jemand meine Schulden erlässt, dann heißt das ja nicht, dass die einfach weg sind. Der Gläubiger trägt den Verlust.

Gott trägt die Folgen meiner Schuld und meiner Fehler.

Damit wird die Frage, wie ich mit der eigenen Schuld und der der anderen umgehen soll also nicht einfacher:

Es gilt einerseits immer und unbedingt Schuld zu vermeiden – sozusagen aus Umweltschutzgründen.

Aber andererseits darf geschehene Schuld nicht zu Verzweiflung und Verbitterung führen.

Und da kommt unser Predigttext überhaupt erst zu seinem Höhepunkt.

Leider kann man den in den meisten Bibelübersetzungen gar nicht so richtig entdecken.

Zum Glück habe ich gestern mit einer Freundin telefoniert, die mich darauf gestoßen hat, denn ich habe es auch übersehen.

In der Lutherübersetzung von 1984 heißt es am Ende des ersten Verses: „denn er [also Gott] ist barmherzig.

Die Überarbeitung von 2017 hat das ein wenig verbessert. Da heißt es jetzt immerhin: „denn er [Gott] hat Gefallen an Gnade“.

Gott ist also nicht einfach nur barmherzig und gnädig, sondern das gefällt ihm auch noch.

Damit aber noch nicht genug. Das Wort, das die ältere Übersetzung einfach weglässt und das 2017 mit „Gefallen“ wiedergegeben wird, meint viel, viel mehr als „es gefällt ihm“.

Micha sagt: Gott hat Freude daran, gnädig zu sein. Gott hat da richtig Lust drauf. Gott ist begierig danach, gnädig zu sein. Er will das unbedingt. Gott hat Spaß daran. Nichts scheint ihm wichtiger zu sein, als der Barmherzige und der Gnädige zu sein.

Das ist viel mehr als es in den Übersetzungen herauskommt. Ich probiere den Unterschied nochmal mit einem Vergleich klar zu machen. Das ist in etwa der Unterschied, ob man die Fußballergebnisse eines letzten Spieltages der Bundesliga einfach zur Kenntnis nimmt oder ob man zwei Stunden lang mit zittert, weil noch nicht klar ist, ob der Verein für den man so schwärmt vielleicht Deutscher Meister wird oder nicht absteigt. Mit noch größerer Leidenschaft will Gott vergeben.

Für uns heißt das, was hier steht: Gott ist ein leidenschaftlicher Vergeber:

Das macht unsere Schuld nicht kleiner und wir dürfen das nicht ausnutzen.

Denn Gott hat keine Freude an unserer Sünde und an unserer Schuld, denn dabei zahlt er immer drauf.

Unsere Schuld wird dadurch nicht kleiner, nicht verharmlost. Aber unsere Hoffnung, die darf unendlich sein. Denn Gott vergibt.

Gott hat die größte Freude daran gnädig und barmherzig zu sein. Er fiebert dem entgegen. Er will gnädig sein.

Und da kann ich dann wirklich nur staunen und mit Micha fragen: „Wo ist solch ein Gott, wie du bist?“ Amen