Lukas 2,31-52 ist der Predigttext zum zweiten Sonntag nach dem Christfest, den wir heute feiern. Hier finden Sie die Predigt zum Anhören und Nachlesen.

Predigttext
„Schönstes Kindlein in dem Stalle, sei uns freundlich“ – so hieß es noch im Eingangslied. Aber diese Zeiten sind jetzt vorbei. Auch das „o wie lacht, Lieb aus deinem göttlichen Mund“ der stillen Nacht hat sich nun etwas verändert. Jesus kommt in die Pubertät. Na, Halleluja! Lukas erzählt, wie Jesus sich von Maria und Joseph abnabelt. Aus dem zweiten Kapitel, die Verse 41-52:

Jesu Eltern gingen alle Jahre nach Jerusalem zum Passafest. Und als er zwölf Jahre alt war, gingen sie hinauf nach dem Brauch des Festes. Und als die Tage vorüber waren und sie wieder nach Hause gingen, blieb der Knabe Jesus in Jerusalem, und seine Eltern wussten’s nicht. Sie meinten aber, er wäre unter den Gefährten, und kamen eine Tagereise weit und suchten ihn unter den Verwandten und Bekannten. Und da sie ihn nicht fanden, gingen sie wieder nach Jerusalem und suchten ihn. Und es begab sich nach drei Tagen, da fanden sie ihn im Tempel sitzen, mitten unter den Lehrern, wie er ihnen zuhörte und sie fragte. Und alle, die ihm zuhörten, verwunderten sich über seinen Verstand und seine Antworten. Und als sie ihn sahen, entsetzten sie sich. Und seine Mutter sprach zu ihm: Mein Kind, warum hast du uns das getan? Siehe, dein Vater und ich haben dich mit Schmerzen gesucht. Und er sprach zu ihnen: Warum habt ihr mich gesucht? Wusstet ihr nicht, dass ich sein muss in dem, was meines Vaters ist? Und sie verstanden das Wort nicht, das er zu ihnen sagte. Und er ging mit ihnen hinab und kam nach Nazareth und war ihnen gehorsam. Und seine Mutter behielt alle diese Worte in ihrem Herzen. Und Jesus nahm zu an Weisheit, Alter und Gnade bei Gott und den Menschen.

Predigt
Liebe Gemeinde!
Ich bin ein wenig ratlos.
Ich weiß nicht, ob ich es gut finde, dass Lukas diese Episode aus Jesu Leben berichtet, oder ob ich es lieber nicht gewusst hätte.
Interessanterweise kratzt diese kurze Erzählung über den zwölfjährigen Jesus viel tiefer an meinem Glauben als man meinen könnte.
Dieser Gedanke ist aber weit im Hintergrund der Geschichte versteckt. Um ihn besser greifen zu können, beginne ich im Vordergrund.
Jesus, Maria und Joseph und selbst die Lehrer kommen nicht gut bei weg.
An Jesus ärgert mich, dass er einfach abhaut.
Er hätte doch Bescheid sagen können.
Wir wissen alle aus eigener Erfahrung, dass das kein leichtes Alter ist. Erwachsen werden und sich von seinen Eltern zu lösen bringt den einen oder anderen Konflikt mit sich.
Und ich gebe zu, dass diese spezielle Abnabelung besonders schwierig gewesen sein dürfte. Jesus trennt sich sehr deutlich von seiner Herkunftsfamilie. Zum ersten Mal nennt er hier Gott seinen „Vater“.
Das dürfte Joseph ganz schön auf die Palme gebracht haben.
Also: Es war klar, dass dieser Konflikt kommt, wie Jesus ihn auslöst, ist trotzdem nicht recht.
Maria und Joseph machen auch keine gute Figur.
Ich finde es noch verständlich nicht mitzukriegen, dass Jesus fehlt. Das war damals so. Kinder waren noch nicht durch Handys überwacht und hatten viel größere Freiheiten. Außerdem war Jesus ja nicht doof. Der hätte seinen Weg nach Nazareth schon gefunden.
Aber dass sie drei Tage brauchen, um ihn zu finden, muss man erst einmal schaffen.
Ich schätze, Jerusalem war zu der Zeit ungefähr so groß wie Gengenbach. Vielleicht noch Berghaupten und Ohlsbach dazu. Dann addieren wir noch die Gäste dazu, die wegen des Passahfestes noch in der Stadt waren. Auch dass kennen wir vom Adventsmarkt her. War also voll, aber:
In drei Tagen finden Maria und Joseph niemanden, der sagt: O, da sitzt so ein Knirps in Sankt Marien und erklärt den Pfarrern die Welt.
Drei Tage lang kommen die beiden nicht mal auf den Gedanken, Jesus im Tempel zu suchen. Bei der Vorgeschichte.
OK, ich lass es durchgehen in der Annahme, dass Lukas etwas übertreibt, um diese bedeutungsvolle Zahl von drei Tagen hinzukriegen. Besonders mitgedacht war es trotzdem nicht. Im Tempel hätten wie früher suchen können, wenn sie dieses Kind Gottes vermissen.
Noch kurz zu den Lehren: Von denen hätte auch mal jemand nachfragen können: „Musst du nicht eigentlich längst zu Hause sein.“ Gelehrsamkeit ist ja schön und gut. Aber das hier ist weltfremd.
Also, mein Fazit zu dieser Episode aus dem Leben Jesu: Es geht sehr menschlich, sehr normal zu. Alle machen Fehler, Jesus pubertiert wie das in dem Alter halt so ist. Maria und Joseph sind überfordert und tun einem Leid und dass Geistliche etwas weltfremd sind, ist nun auch keine herausragend neue Erkenntnis.
Damit bin ich im Hintergrund der Geschichte und bei der Theologie angelangt.
Gott ist Mensch geworden!
Das ist eine der zentralen Aussagen unseres Glaubens. Er ist ganz und gar richtig Mensch gewesen. Ganz ungeschützt und nicht in einem goldenen Palast sondern in einem dreckigen Stall geboren.
Für meinen persönlichen Glauben ist das mit das Wichtigste.
Es heißt nämlich, dass Gott alles kennt, was das menschliche Leben so ausmacht. Er hat sich das nicht einfach aus sicherer Entfernung angeschaut. Er hat es am eigenen Leib erlebt.
Unser Gott weiß aus eigener bitterer Erfahrung, wie es ist, Mensch zu sein.
Er hat als Baby geweint, weil die Windel voll war.
Er wird sämtliche Kinderkrankheiten mitgenommen haben.
Er hat Schmerzen und Todeskampf erlitten und sogar am Kreuz erfahren, wie gottverlassen man sich fühlen kann.
Mehr Mensch geht nicht. Und da gehört eben auch das Erwachsen werden mit rein und die Erfahrung, dass die Eltern schwierig werden.
Der zwölfjährige Jesus im Tempel reiht sich in die Berichte ein, die mir sagen:
Jesus hat etwas mit mir und meinem Leben zu tun. Er kennt mein Leben und weiß, wie es sich anfühlt traurig zu sein oder fröhlich, wie Misserfolge und Erfolge sind und alles.
Und darum gefällt mir diese Jugenderzählung und dass es darin so menschelt gut.
Aber genau aus dem selben Grund habe ich auch meine Schwierigkeit mit diesem Bericht.
So normal und so menschlich, wie Jesus hier ist, ist er ja nur, wenn man den Grund seines Verschwindens wegdenkt.
Der hat ja etwas völlig übermenschliches, unerreichbares, göttliches.
Jesus sitzt mitten zwischen den Lehrern am Tempel, den wichtigsten religiösen Größen seiner Religion und alle sind beeindruckt von seinem Verstand.
Er muss wirklich beeindruckend gewesen sein. Aber genau dadurch ist er eben viel weniger menschlich und normal.
Das, was ich an der Weihnachtsgeschichte und dann vor allem auch an der Passionsgeschichte so mag, aber auch an dieser Geschichte vom Erwachsenwerden Jesu, das kommt im Zentrum der Geschichte nicht vor.
Hier ist Jesus ganz und gar göttlich und sie sahen seine Herrlichkeit, eine Herrlichkeit als des eingeborenen Sohnes vom Vater, voller Gnade und Wahrheit.
Liebe Gemeinde,
Wahrer Mensch und wahrer Gott.
Das Weihnachtsfest geht dem Ende zu. Die Betonung lag ganz auf dem „wahrer Mensch.“ Jetzt brechen andere Zeiten an. Vor uns liegt die Epiphaniaszeit, in den Gottesdiensten wird jetzt der Blick vor allem auf den herrlichen Jesus gelegt und darauf, dass er wahrer Gott ist.
Jesus Christus kann immer nur als beides verstanden werden:
Er ist ganz und gar Mensch mit allem was dazu gehört – das ist in meinem persönlichen Glauben mit das Zentrale.
Er ist ganz und gar Gott. Göttlich mit allem, was dazu gehört – das ist für viele Christen das Zentrale.
Aber egal, wo unser Glaube ansetzt: Es braucht beides, den menschlichen Gott und den göttlichen Mensch, um den Himmel und die Erde zu verbinden, um Mensch und Gott einander nahe zu bringen.
Ich glaube, ich finde es doch ganz gut, dass Lukas davon berichtet, wie menschlich Jesus pubertiert und wie göttlich er dabei erscheint. Amen