Texte zum Sonntag Quasimodogeniti (19. April 2020)

Predigttext: Jesaja 40, 26-31

Spruch zum Tag: „Gelobt sei Gott, der Vater unseres Herrn Jesus Christus, der uns nach seiner großen Barmherzigkeit wiedergeboren hat zu einer lebendigen Hoffnung durch die Auferstehung Jesu Christi von den Toten“ (1.Petrus 1,3)

Evangelium: Joh 20, 19-29

Psalm: 116, 1-9.12 (N 957, in anderer Versauswahl: EG 762)

 

Predigt

Liebe Gemeinde!

Weißt du wie viel? Zahlen spielen zur Zeit eine große Rolle: Die aktuelle Zahl der neu Infizierten hier und anderswo auf der Welt. Die Zahl der Toten in Italien, den USA und Baden-Württemberg. Die Zahl der Geschäfte, die die Krise wohl nicht überstehen werden. Zahlen, Zahlen, Zahlen.

Aber hinter diesen Zahlen stecken Menschen und Schicksale.

Und so machen uns die Zahlen einerseits Angst, so groß sind sie. Aber andererseits bewahren sie uns davor, uns mit Namen, Menschen und Schicksalen beschäftigen zu müssen. Wir können nicht um jeden einzelnen Angst haben. Wir können nicht um jeden einzelnen trauern. Wir würden sonst durchdrehen und verzweifeln. Und wir wissen einfach nicht, wie viele es wirklich sind.

Gott ist anders: Er achtet auf jeden Einzelnen und kennt alle beim Namen, wie groß die Zahl auch sein mag.

Weißt du wie viel Sternlein stehen? – fragt das bekannte Lied. Und es antwortet am Ende: Gott im Himmel kennt auch dich und hat dich lieb. Unser heutiger Predigttext ist die Grundlage dieses Liedes. Und er ist eine Antwort auf die allmorgentlichen Zahlen der Krise. Hört, wie uns der Prophet Jesaja heute aufmuntert. Kapitel 40, 26-31:

    Hebt eure Augen in die Höhe und seht! Wer hat all dies geschaffen? Er führt ihr Heer vollzählig heraus und ruft sie alle mit Namen; seine Macht und starke Kraft ist so groß, dass nicht eins von ihnen fehlt. Warum sprichst du denn, Jakob, und du, Israel, sagst: »Mein Weg ist dem Herrn verborgen, und mein Recht geht an meinem Gott vorüber«? Weißt du nicht? Hast du nicht gehört? Der Herr, der ewige Gott, der die Enden der Erde geschaffen hat, wird nicht müde noch matt, sein Verstand ist unausforschlich. Er gibt dem Müden Kraft und Stärke genug dem Unvermögenden. Jünglinge werden müde und matt, und Männer straucheln und fallen; aber die auf den Herrn harren, kriegen neue Kraft, dass sie auffahren mit Flügeln wie Adler, dass sie laufen und nicht matt werden, dass sie wandeln und nicht müde werden.

     

    Weißt du wie viel Sternlein stehen? Es gibt tatsächlich eine Antwort auf diese Frage. Mit dem bloßen Auge kann man, wenn man gutes Wetter und wenig Streulicht hat, zwischen 2000 und 6000 Sterne sehen. Experten gehen davon aus, dass es insgesamt rund 70 Trilliarden Sterne gibt. Das ist eine 7 mit 22 Nullen dran. Genauer kann man es nicht sagen, denn das sind Mengen, die fallen unter „unzählbar.“ Gott aber führt sie alle vollzählig heraus – wie Jesaja es beschreibt. Er kennt sie alle. Nicht „70 Trilliarden und ein paar zerquetschte“, sondern jeden einzelnen.

    Weißt du wie viel Wolken gehen? Nein, das kann man nun endgültig nicht mehr wissen, denn das ändert sich ja jede Sekunde. Erst seit 1802 gibt es überhaupt wissenschaftliche Namen für die Wolkenarten. Heutzutage unterscheidet man 27 verschiedene Arten, zu denen noch viele Unterarten kommen. Aber jeder einzelnen Wolke einen Namen geben, das übersteigt unsere Fähigkeiten bei weitem. Doch Gott kennt sie alle beim Namen, dass nicht eine einzige fehlt.

    Hebt man die Augen in die Höhe, dann entdeckt man da ein unfassbares Gewimmel. Aber Jesaja ist sich sicher, dass Gott sie alle kennt, jeden einzelnen. So kennt er auch jeden Menschen. Und das ist seine gute Nachricht für den heutigen Tag: Auch in der Krise hat Gott dich nicht vergessen.

     

    Liebe Gemeinde!

    Diese Worte sind über 2.500 Jahre alt und doch tun sie mir heute richtig gut. Vielleicht sind sie so passend, weil sich die Situation in manchem ähnlich angefühlt haben dürfte. Jesaja spricht ebenfalls in eine große Krise hinein. Israel hatte einen Krieg gegen das große Babylon verloren und wurde nach Babylon verschleppt. Nun leben sie dort im Exil und vermissen ihr altes Leben. Sie können nicht richtig Gottesdienst feiern. Sie können sich nicht einfach treffen. Sie vermissen vertraute Orte und ihr geregeltes Leben. Sie machen sich Sorge, ob ihr Glaube diese Krise überlebt oder ob danach keiner mehr in den Gottesdienst gehen wird.

    Das alles kommt mir seltsam bekannt vor, obwohl die Situation eine ganz andere ist und obwohl es uns viel besser geht als den Israeliten damals. Dennoch kann auch ich die große Aufmunterung des Propheten Jesaja heute gut vertragen: Gott kennt dich und „die auf den Herrn harren kriegen neue Kraft, dass sie auffahren mit Flügeln wie Adler, dass sie laufen und nicht matt werden, dass sie wandeln und nicht müde werden.“

    Der Adler wird zum Symbol der Kraft Gottes und zum Zeichen der Stärke aus dem Glauben. Der Adler gilt seit jeher als Vorbild und Zeichen für Kraft. Das machte ihn zum beliebten Wappentier, der 1345 ins deutsche Kaiserwappen übernommen wurde und noch heute als Bundesadler die Flaggen der Bundesrepublik Deutschland ziert. Jesaja stellt uns den Adler hier als Wappentier für das Leben mit Gott vor. Er steht für seine Macht und Stärke, die uns begleiten soll, auf die wir beharren dürfen in fröhlichen Tagen ebenso wie in traurigen. An den guten Tagen, da geht alles mit Leichtigkeit, schwebend wie ein Vogel kommt man voran und ist guter Dinge. Da soll uns der Adler daran erinnern, dass diese Tage ein Geschenk Gottes sind. An den bösen Tagen, wenn das Leben schwer wird, da soll uns der Adler sagen: „Die auf den Herrn harren kriegen neue Kraft.“ Die Kraft Gottes, für die der Adler schon seit Jahrhunderten steht. Auf die Kraft Gottes berufen wir uns, auf diese Kraft beharren wir, auf sie setzten wir die Hoffnung für unser Leben, unser Sterben und Auferstehen.

    Gott verspricht nicht, dass in unserem Leben alles nur Leichtigkeit sein wird. Aber er verspricht, dass wir uns in allen Zeiten unseres Lebens auf seine Kraft berufen dürfen. Er verspricht uns, dass er uns trägt, bis wir wieder auffahren mit Flügeln wie Adler – und Adlerflügel sind wirklich groß und mächtig.

    Der Adler ist einer der größten Vögel, die es je gab. Der Riesenseeadler hat eine Flügelspannweite von über 2 Metern. Der Adler steht mit seiner atemberaubende Kraft und der gleichzeitigen Leichtigkeit für unseren Glauben. Gott kann dir die Kraft geben aufzufahren, durchzustarten, aus der Tiefe herauszukommen und er kann dich schweben lassen und tragen an besonders schönen Tagen. Das sind gute Nachrichten zwischen all den schrecklichen Zahlen und den ganzen Einschränkungen. Das sind aufmunternde Worte, jetzt wo die Rückkehr zur Normalität in so weite Ferne gerückt ist. Das sind aufmunternde Worte für alle, die heute den Gottesdienst vermissen.

    Darum vergiss über der ganzen Krise nicht: Es mag 70 Trilliarden Sterne geben, so und so viele neu Infizierte und Eingesperrte, aber Gott kennt sie alle mit Namen. Er kennt auch dich und hat dich lieb. Und wer auf den Herrn harrt kriegt neue Kraft, dass er auffährt mit Flügeln wie Adler, dass er läuft und nicht matt wird, dass er wandelt und nicht müde wird.
    Amen