Gottes Liebe ist grenzenlos. Das zeigen der Predigttext und der Wochenspruch heute deutlich: “Es werden kommen von Osten und von Westen, von Norden und von Süden, die zu Tisch sitzen werden im Reich Gottes.” (Lukas 13,29).

Lesen und hören Sie hier die Predigt über Rut 1.

Predigttext
Eine rührende Geschichte hören wir jetzt. Sie beginnt viele, viele hundert Jahre vor Jesu Geburt in dem Ort, in dem Jesus geboren werden wird. Es ist die Geschichte von Noomi und ihren beiden Schwiegertöchtern Orpa und Rut. Rut ist die Ur-, ur-, ur- und noch etliche „Urs“ mehr -großmutter von Jesus. Ich lese aus dem ersten Kapitel und ich lese erstmals aus dem Alten Testament der eben erschienenen Übersetzung der BasisBibel.

Es war zu der Zeit, als Richter in Israel regierten. Wieder einmal herrschte Hunger im Land. Da verließ ein Mann die Stadt Betlehem in Juda. Er wollte mit seiner Frau und seinen zwei Söhnen eine Zeit lang im Land Moab leben. Der Mann hieß Elimelech und seine Frau hieß Noomi. Seine beiden Söhne hießen Machlon und Kiljon. Sie gehörten zur Großfamilie der Efratiter, die aus Betlehem im Land Juda kam.
Sie gingen nach Moab und ließen sich dort nieder. Da starb Noomis Mann Elimelech, und sie blieb mit ihren zwei Söhnen zurück. Die beiden heirateten Moabiterinnen. Eine hieß Orpa und die andere Rut. Ungefähr zehn Jahre lang wohnten sie in Moab. Dann starben auch die beiden Söhne Machlon und Kiljon. Noomi blieb allein zurück, ohne Söhne und Mann.
Noomi machte sich auf und zog aus Moab weg, zusammen mit ihren Schwiegertöchtern. Sie hatte dort nämlich erfahren, dass der Herr sich um sein Volk kümmerte und ihm Brot gab. So verließ sie den Ort, an dem sie gelebt hatte. Die beiden Schwiegertöchter begleiteten sie auf dem Weg zurück ins Land Juda. Unterwegs sagte Noomi zu ihren beiden Schwiegertöchtern: »Kehrt um! Geht zu euren Müttern zurück! Der Herr soll euch genauso lieben, wie ihr die Verstorbenen und auch mich geliebt habt. Er soll dafür sorgen, dass ihr ein neues Zuhause findet bei neuen Ehemännern. «Noomi küsste die beiden. Aber sie weinten laut und baten Noomi: »Lass uns mit dir zu deinem Volk zurückkehren!«
Doch Noomi erwiderte: »Kehrt um, meine Töchter! Warum wollt ihr mit mir gehen? Ich kann keine Söhne mehr zu Welt bringen, die euch heiraten würden. Kehrt um, meine Töchter! Geht! Ich bin einfach zu alt für eine neue Ehe. Selbst wenn ich es nicht wäre –wenn ich noch heute Nacht mit einem Mann schlafen und danach Söhne zur Welt bringen würde: Wollt ihr wirklich warten, bis sie groß sind?Wollt ihr euch so lange einschließen und mit keinem Mann verheiratet sein? Nein, meine Töchter! Mein Schicksal ist zu bitter für euch! Die Hand des Herrn hat mich getroffen.« Da weinten die beiden noch lauter. Orpa küsste ihre Schwiegermutter zum Abschied. Aber Rut blieb bei Noomi.
Noomi sagte zu Rut: »Schau! Deine Schwägerin ist umgekehrt zu ihrem Volk und zu ihrem Gott. Mach es wie sie: Kehr um!« Aber Rut antwortete: »Schick mich nicht fort! Ich will dich nicht im Stich lassen. Ja, wohin du gehst, dahin gehe auch ich. Und wo du bleibst, da bleibe auch ich. Dein Volk ist mein Volk,und dein Gott ist mein Gott! Wo du stirbst, da will auch ich sterben, und da will ich auch begraben sein. Der Herr soll mir antun, was immer er will!Nichts kann mich von dir trennen außer dem Tod.« Noomi sah, dass Rut entschlossen war, mit ihr zu ziehen. Da hörte sie auf, es ihr auszureden.
So wanderten sie gemeinsam nach Betlehem.


Predigt
Liebe Gemeinde!
Alles beginnt mit großer, mehrfacher Not.
Noomi und ihre Familie sind das, was manch einer bösartig „Wirtschaftsflüchtlinge“ genannt haben wird: In und um Bethlehem herrscht Hungersnot. Um nicht zu verhungern, zieht die Familie nach Moab.
Anscheinend gelingt es ihnen sogar, dort heimisch zu werden. Denn obwohl Noomis Mann stirbt, bleibt sie mit den beiden Söhnen und beide finden Frauen aus Moab, die sie heiraten.
Da schlägt das Schicksal wieder zu: Beide Söhne sterben und nun ist Noomis Situation ausweglos:
Sie ist Ausländerin,
sie ist Witwe und
sie hat keine Nachkommen, die sich einmal um sie kümmern werden.
Um zu verstehen, wie das Drama weitergeht muss man sich in Erinnerung rufen, wie die Gesellschaft damals funktionierte:
Die Sache mit Rassismus und Fremdenfeindlichkeit ist klar. Da hat sich nicht viel geändert die letzten 3000 Jahre. Noomi ist nun Sozialfall, trägt nichts zur Wirtschaft bei und das als Ausländerin. Sie ist wenig willkommen.
Altersvorsorge und Pflege haben sich verändert. Damals gab es keinerlei Versicherungen. Nichts. Wer alt war und keine Nachkommen hatte, die sich gekümmert haben, der ist einfach verreckt, verhungert, verdurstet, wundgelegen und gestorben und vermutlich noch nicht einmal anständig beerdigt. Denn dafür wäre die Familie zuständig gewesen. Nur: Noomi hatte keine Familie mehr. Darum beschließt sie, nach Bethlehem zurückzugehen. Vielleicht findet sich ein entfernter Verwandter, der sich ihrer erbarmt.
Am schwierigsten zu verstehen ist aber das, was dann kommt. Da hat sich die Gesellschaft am meisten verändert. Für uns moderne Menschen ist es kaum nachzuvollziehen.
Für uns ist der Einzelne wichtig. Jede Person, jedes Individuum. Meine Menschsein, meine Identität, dass ich ich bin, hängt sehr an dem was ich selbst mache, arbeite, denke, gestalte und kann.
Nach damaligem Verständnis aber hing die Identität entscheidend daran, Teil der Großfamilie zu sein und ein Glied in der Kette der Generationen. Der Sinn des Lebens hing daran, in den Nachkommen weiterzuleben. Darum gab es im alten Israel einige Gepflogenheiten und Gesetze, die uns heute sehr merkwürdig vorkommen, über die wir vielleicht den Kopf schütteln oder die wir völlig indiskutabel finden.
Also zum Beispiel, dass zur Not die Magd herhalten musste, um einen Nachfahren zu gebären, der dann aber als Tochter oder Sohn der Herrin galt.
Oder aber auch das, wovon wir hier hören: Zwei Schwiegertöchter, die dem Gebot nach einen weiteren Sohn Noomis heiraten müssten um ihre Linie und die ihrer Söhne weiterzuführen. Aber es ist kein Sohn da und für weitere Kinder ist Noomi zu alt und selbst wenn: Bis die alt genug wären, wären Orpa und Rut selbst zu alt. Nein, die Bedeutung und der Wert von Noomis Leben ist gleich null.
So ist es nur logisch, dass sie Orpa und Rut von ihrer Pflicht entbinden will, damit wenigstens sie noch Chancen auf ein Leben haben.
Aber alles kommt ganz anders: Rut lässt sich nicht abwimmeln und sie leistet diesen Schwur, dass sie mit Noomi gehen will und mit ihr in den Untergang geht, selbst zur Ausländerin werden wird. Vor allem aber: „Dein Gott ist mein Gott.“
Alles beginnt mit großer, mehrfacher Not.
Aber Noomis Gott, unser Gott wendet die Not.
Davon berichten die restlichen drei Kapitel des Buches Rut und was geschieht kommt einem Wunder gleich.
Am Ende heiratet Rut und bekommt einen Sohn und dieser ist nach damaligem Verständnis – obwohl ja kein bisschen blutsverwandt – Noomis Enkel. Ihr Leben hat seinen Sinn zurück.
Mehr noch Ruts Sohn ist Obed und sein Sohn wird Isai sein, dessen berühmtester Sohn der große König David wird.
Im zweiten Kapitel des Matthäusevangeliums wird dieser Stammbaum dann noch erweitert, denn am Ende wird Jesus als Nachfahre geboren.
Am Ende steht das Ende aller Not: Christus ist geboren.
Liebe Gemeinde:
Zwei Dinge nehme ich aus der Geschichte heute mit:
Erstens:
Was wir im Wochenspruch gehört haben, ist Gott ernst. Seine Liebe kennt keine Grenzen.
Rut, die ausländische Witwe, der Sozialfall aus einem anderen Land, bekommt letztlich einen Ehrenplatz in der ahnengalerie des Christentums.
Es ist Gott ernst, dass alle Menschen ruft und sie werden kommen von Osten und von Westen, von Norden und von Süden und Gott rettet sie.
Zweitens:
Am Anfang steht die große Not.
Die Geschichte Jesu ist nicht erst ab der Geburt im Stall eine Geschichte, die von der Not der Menschen erzählt und davon, wie Gott immer wieder eingreift.
Gott kann selbst aus der größten Not noch Gutes entstehen lassen.
Das finde ich in der aktuellen Situation besonders wertvoll.
Die Not wird nicht schön geredet und nicht alles hat sein Gutes. Aber Gott kann auch aus der Not etwas machen.
Am Ende, ganz am Ende, jedenfalls, da wird alles gut sein. Aus allen Himmelsrichtungen werden die Menschen gemeinsam an Gottes Tisch sitzen, in seinem Reich und alles, wirklich alles wird gut sein. Amen