Texte zum 2. Sonntag nach Trinitatis (21.6.2020)
Predigttext: Mt 11,28-30
Wochenspruch: „Kommt her zu mir, alle, die ihr mühselig und beladen seid; ich will euch erquicken.“ (Mt 11,28)
Evangelium: Lk 14,16-24
Psalm: 36 EG 719
Eingangsgebet
Bei dir ist die Quelle des Lebens, Gott.
Die Quelle des Lebens
– das klingt nach frischem Wasser und Sonnenschein,
nach Vogelgezwitscher und stillen Momenten im Schatten eines Baumes.
Die Quelle des Lebens.
Gott, du weißt, wie sehr wir diese Quelle brauchen.
Du weißt, wie müde wir oft sind. Ausgelaugt vom Leben, vom Alltag, von der Unsicherheit der Krise. Du weißt, wie wir uns abrackern und anstrengen und unter Druck setzen lassen. Du weißt, dass uns das Leben manchmal schwer fällt. Du weißt, dass wir so viel Sehnsucht in uns tragen: Sehnsucht nach Leben und Ruhe und Freiheit.
Sehnsucht nach dir.
Bei dir, Gott, ist die Quelle des Lebens.
So höre uns, wenn wir dir jetzt in der Stille sagen, wo wir diese Quelle brauchen und was wir aus ihr schöpfen wollen:
Gebetsstille
Bei dir, Gott, ist die Quelle des Lebens und in deinem Lichte sehen wir das Licht.
Amen.
Predigt zu Mt 11,28-30
Den Predigttext für heute kennen Sie vermutlich alle – er steht im Matthäusevangelium, im 11. Kapitel. Ich lese die Übersetzung der Basisbibel. Sie ist zwar weniger bekannt, dafür aber näher am griechischen Original als der Luthertext. Jesus sagt:
»Kommt zu mir, ihr alle, die ihr euch abmüht und belastet seid! Bei mir werdet ihr Ruhe finden. Nehmt das Joch auf euch, das ich euch gebe. Lernt von mir: Ich meine es gut mit euch und sehe auf niemanden herab. Dann wird eure Seele Ruhe finden. Denn mein Joch ist leicht. Und was ich euch zu tragen gebe, ist keine Last.« (Mt 11,28-30)
Amen.
Liebe Gemeinde,
manchmal ist die Zeitung freundlich genug, mir eine Vorlage für meine Predigt zu liefern. In diesem Fall leider erst gestern früh – etwas spät aber dafür umso treffender…
Gestern also stand im Gesellschaftsteil der Süddeutschen Zeitung ein Artikel unter der Überschrift: „Auf eigene Gefahr. Deutschland tut viel für die Sicherheit und Sorgenfreiheit seiner Bürger. Doch ein Leben ganz ohne Angst kann es nicht geben. Über ein diffuses Gefühl“.
Es geht um die Angst. Genauer gesagt: Um die Angst: „eine schweren Corona-Verlauf zu erleben und in fünf Wochen zu sterben“; um die Angst „dass sich Nahestehende infizieren und man deshalb nächsten Samstag statt in Netflix in eine Plexiglasscheibe schaut und zum letzten Mal die Hand hält, die einen so lange gehalten hat“; um die Angst „seinen Lebensunterhalt zu verlieren“ und um die „unterschwellige Angst, dass man zwischen März und April die schöne Welt verloren hat und sich nicht mal von ihr verabschieden konnte.“ Der Artikel fasst zusammen: „Das Angebot frischer Lebensängste war diesen Frühling recht groß.“
Was hier so etwas flapsig kommentiert wird, ist natürlich bittere Realität. Auch für uns. Ich glaube, jeder von uns hat diese Ängste und noch ganz andere in den letzten Monaten kennen gelernt. Ich zumindest weiß nur zu gut, wovon der Verfasser spricht.
Ja, die Krise macht mir Angst. Es klingt nicht gut, das aussprechen zu müssen – aber es ist so. Wir geben es nicht gerne zu, wenn wir Angst haben. Auch das schildert der Zeitungsartikel, wieder etwas schnodderig ausgedrückt: „Angst zu gestehen ist eine etwas knifflige Prozedur, so ähnlich wie Liebe zu gestehen.“
Es ist uns peinlich, Angst zu haben. Es ist uns peinlich, nicht mehr weiter zu wissen, unsicher zu sein, zuzugeben, dass wir uns viel zu viele Sorgen machen. Dabei ist ja genau das grade für so viele Menschen – vermutlich für fast alle – Realität. Die Corona-Krise hat uns so deutlich gemacht, wie vielleicht seit dem letzten Krieg nichts mehr, was es heißt, dass wir „auf eigene Gefahr“ leben. Dass das Leben keine Garantie für Sorglosigkeit und Glück bietet. Dass wir unser eigenes Leben nicht selbst in der Hand haben. Dass zum Leben Angst und Lasten und Mühen und Sorgen dazugehören.
Unsere Vorstellung von einem sicheren, glücklichen Leben in einer größtenteils sorgenfreien Welt wurde ziemlich heftig angekratzt. Der Artikel bringt das auf den Punkt mit dem Satz: „Vielleicht hat die Menschheit gar kein Anrecht auf ein Happy End.“
Große, allgegenwärtige Angst und kein Anrecht auf ein Happy End. Viel weiter geht es dann allerdings nicht mehr in dem Zeitungsartikel – was soll der Verfasser dazu auch noch sagen? Er schreibt noch ein bisschen darüber, dass die Angst zum Leben dazu gehört, dass wir Menschen lernen, damit umzugehen und dass es einfach so ist mit der Angst und dem Tod. „Ja, das Leben geht weiter. Aber eben nur so lange, bis es vorbei ist.“ ist sein Fazit.
Ziemlich trübe Aussichten. Aber zum Glück ist unser Fazit als Christen ein anderes. Und unsere Voraussetzungen, mit der Angst umzugehen, auch. Ich denke, der Verfasser des Artikels hat mit vielem, was er über die Angst schreibt recht – aber längst nicht mit allem.
Denn der Predigttext weist uns in eine ganz andere Richtung:
Jesus sagt: „Kommt zu mir, ihr alle, die ihr euch abmüht und belastet seid! Bei mir werdet ihr Ruhe finden.“
Damit spricht er aus, was uns so schwer fällt, auszusprechen. Er spricht von unseren Lasten, davon, wie wir uns abrackern und doch oft denken, es ist alles vergeblich. Er spricht von unsrer Angst und Überforderung, von unserer Unruhe und Sorgen. Eben von diesen ganzen Sachen, über die wir so ungern reden. Das alles steckt in den paar kleinen Wörtern drin.
Und wenn Jesus hier schon so klare Worte findet – dann können wir es auch. Dann muss es uns nicht mehr peinlich sein zu zugeben: „Ja, es macht mir Angst, was grade los ist.“ Mindestens vor Jesus müssen wir uns nicht verstellen, keine Durchhalteparolen raus posaunen, nicht so tun als wäre alles ok wenn gar nichts ok ist. Unsere Angst, unsere Schwäche, unsere Verletzlichkeit und unsere Verletztheit müssen wir vor Jesus nicht verstecken. Er weiß doch Bescheid.
Das ist schon ein erster Ausweg aus der Angst. Dass da jemand ist, der weiß, wie es mir geht und mich dafür nicht auslacht und verurteilt, sondern mir zuhört. Das allein nimmt mir schon Lasten ab: die Last allein zu sein mit meiner Angst und die Last es bloß keinen merken zu lassen. Die muss ich jetzt nicht mehr tragen.
Aber der eigentlich Trost des Predigttextes ist ja noch viel größer: „Ihr werdet Ruhe finden“ sagt Jesus. Dieses „Ruhe finden“ ist zweideutig:
Zum einen meint es eine Ruhe in diesem Leben jetzt. Ruhe für eure Seele. Aus dem Glauben heraus gelassen und ruhig und zuversichtlich leben können – also genau das, wonach wir uns zur Zeit oft sehnen. Zum anderen meint es aber auch die große, ewige Ruhe in Gottes Reich – also die Endzeit, nach dem Tod, nachdem Gott diese Welt neu gemacht hat. Jesus lässt beides, beide Arten der Ruhe mitschwingen, wenn er sagt: „Dann wird eure Seele Ruhe finden.“
Ruhe finden, jetzt und hier, im ganzen Chaos der Krise – das ist mehr als irgendwie lernen, mit der Angst zu leben. „Ein bisschen Training in Sachen Lebensrisiko“ ist das Beste, was der Verfasser des Zeitungsartikels sich vorstellen kann. Mir ist das zu wenig. Ich will mich nicht nur irgendwie durchwurschteln und die Angst verdrängen und sie in mein Leben integrieren. Ich will die Ruhe, die Jesus uns verspricht. Ja klar, es gelingt mir nicht dauernd, sie zu finden. Zugegebenermaßen gelingt es mir in den letzten Monaten viel zu selten. Das Angebot an „frischen Lebensängsten“ ist auch für mich einfach zu groß und ich tappe doch immer wieder in die Falle, mir viel zu viele Sorgen zu machen. Aber genau deshalb will ich den Glauben und die Hoffnung nicht aufgeben, dass es sie gibt, diese Ruhe. Auch für mich. Und zu hören, dass Jesus sie uns verspricht, ist schon wie ein kleiner Sieg über die Angst. Zu wissen, dass Jesus mir diese Ruhe anbietet ist ein bisschen, als könnte ich der Angst mutig ins Gesicht sagen: „Ja, du bist da, aber du bist gar nicht so groß und mächtig, wie du immer tust. Du hast keine Macht über mich. Die hat nur Jesus.“
Wir sind als Christen der Angst und den Sorgen nicht schutz- und erbarmungslos ausgeliefert. Jesus bietet uns einen Ausweg an. Er gibt uns Ruhe. Mir reicht oft schon dieser kleine Gedanke: Dass es da einen Ausweg gibt. Dass Jesus uns immer und immer wieder einlädt, bei ihm unsere Ängste abzulegen und uns Ruhe verspricht. Und schon ist die Last leichter.
Aber (wie gesagt) geht es hier auch um eine anderen Art der Ruhe: um die endgültige Ruhe in Gottes Reich. Auch der Zeitungsartikel schaut ja aufs Ganze, Endgültige und kommt (wie auch schon gesagt) zu dem Schluss: Wir haben kein Anrecht auf ein Happy End. Klar – das wäre auch vermessen. Ein Anrecht haben wir auf gar nichts. Aber wir haben ein Versprechen. Das Versprechen von Jesus, dass er uns am Ende Ruhe, also doch ein Happy End schenken will. Ruhe für unsere Seelen im Reich Gottes. Das ist kein „Anrecht“ – grade diese Anspruchshaltung sollte uns die Krise ja inzwischen ausgetrieben haben – es ist ein Geschenk. Eine Einladung. Allein aus Gnade.
Deshalb gilt es für uns als Christen nicht, wenn der Artikel zu dem Schluss kommt: „Das Leben geht weiter. Aber eben nur so lange, bis es vorbei ist.“ Das Leben geht nicht einfach weiter, schon gar nicht geht es einfach weiter wie vorher. Hoffentlich geht es nicht weiter wie vorher – nicht nach so einer heftigen Krise, die ja auch eine heftige Warnung an uns ist. Das Leben geht erst recht nicht einfach weiter, bis es vorbei ist. Für uns als Christen geht das Leben weiter bis wir bei Gott sind. In der ewigen Ruhe, die Jesus uns verspricht.
Wir leben vielleicht auf eigene Gefahr, wie es in der Zeitung heißt. Aber als Christen leben wir vor allem aus und in Gottes Liebe. Darum geht es Jesus, wenn er sagt: „Kommt zu mir, ihr alle, die ihr euch abmüht und belastet seid! Bei mir werdet ihr Ruhe finden.“
Das sind Worte gegen die Angst. Gegen das Ausgeliefertsein. Worte gegen den Tod. Worte, damit wir leben können. In alle Ewigkeit – aber grade auch jetzt, heute und hier leben und lebendig sein.
Amen.
Liedvorschläge zum anhören oder mitsingen:
NL 66 Leben aus der Quelle
anzuhören auf https://www.youtube.com/watch?v=iyzOHvp66-s
NL 123 „Du bist mein Zufluchtsort“
anzuhören auf https://www.youtube.com/watch?v=wPfxMq96o74
EG 213 „Kommt her, ihr seid geladen“
anzuhören auf https://www.youtube.com/watch?v=2KxJzliS0fo
EG 617 „Kommt herbei, singt dem Herrn“
anzuhören auf https://www.youtube.com/watch?v=XNWBtD3Vkd