Predigt über Joh 7,37-39 am Sonntag Exaudi (16.05.2021)
Der Predigttext für heute steht im Johannesevangelium, im 7. Kapitel. Jesus ist mit seinen Jüngern in Jerusalem auf dem Laubhüttenfest:

Am letzten Tag, dem Höhepunkt des Festes, trat Jesus vor die Menschenmenge und rief laut: »Wer Durst hat, soll zu mir kommen. Und es soll trinken, wer an mich glaubt. So sagt es die Heilige Schrift: ›Ströme von lebendigem Wasser werden aus seinem Inneren fließen.‹ « Jesus bezog dies auf den Heiligen Geist. Den sollten die erhalten, die zum Glauben an ihn gekommen waren. Denn der Heilige Geist war noch nicht gekommen, weil Jesus noch nicht in seiner Herrlichkeit sichtbar war. (Joh 7,37-39; Basisbibel)

Liebe Gemeinde,
„Wenn jemand Durst hat, soll er zu mir kommen und trinken.“ sagt Jesus.
Wir müssen heutzutage eigentlich keinen Durst leiden. Wer Durst hat, holt sich halt schnell einen Kaffee beim Dreher oder eine Apfelschorle beim Edeka. Notfalls kann man bei uns in Deutschland ja auch einfach aus dem Wasserhahn trinken. Alles kein Problem.

Und trotzdem schleppen ziemlich viele Menschen eigentlich dauernd eine Flasche oder eine Thermoskanne mit einem Getränk mit sich rum.
Da geht es natürlich um mehr als den rein körperlichen Durst. Es geht darum, dass die eigenen Bedürfnisse zuverlässig gestillt werden sollen. Das Bedürfnis nach etwas zu Trinken – aber eben auch die Bedürfnisse nach dem richtigen Trinken zur der richtigen Zeit. Also das Bedürfnis nach Gesundheit, nach Sich-Wohl-Fühlen, nach Genuss, nach Selbstfürsorge… und so weiter.
So eine Wasserflasche kann ziemlich viele Bedürfnisse stillen.

Und wenn Jesus jetzt sagt: „Wenn jemand Durst hat, soll er zu mir kommen und trinken.“ stellt sich natürlich die Frage: Welche Bedürfnisse kann er stillen? Was brauchen wir, was er uns geben kann?

Der Predigttext heute stellt uns vor die Frage: Was brauchen wir wirklich zum Leben?
Wir sind hier in Deutschland im 21. Jahrhundert in der bequemen Situation, dass wir uns um Essen in Trinken keine Sorgen machen müssen. Aber um wirklich Leben zu können, brauchen wir mehr als einen gut gefüllten Kühlschrank und einen Wasserhahn, aus dem Wasser in Trinkwasserqualität fließt.
Das ist keine neue Erkenntnis.

Aber eine, die uns Menschen offenbar immer wieder schwer fällt.
Da wird gehortet und gegeizt und gespart an Geld und Besitz.
Noch mehr haben, noch mehr machen, können, dürfen… und trotzdem bleibt unser Durst, unsere oft unklare Sehnsucht nach irgendwas, nach Leben, nach Glück, nach Sinn…

Was brauche ich zum Leben?
Damit wir darauf eine Antwort finde, ist wichtig, dass wir uns diese Frage ehrlich stellen.
Nicht nur an der Oberfläche – keine Antwort im Sinne von:
Noch mehr schicke Kleider, noch mehr gutes Essen, noch mehr Was-Auch-immer.

Was brauche ich zum Leben?
Wenn ich darüber nachdenke, merke ich, dass es gar nicht so einfach, dem auf die Spur zu kommen.
Und für Sie alle fällt die Antwort sicher auch ganz anders aus als für mich.
Was wir brauchen, ist so verschieden.
Der eine braucht vielleicht nach 15 Monaten Pandemie vor allem Nähe.
Der andere das Gefühl, dass das Leben größer ist als die eigenen vier Wände.
Der dritte braucht vielleicht die Zusicherung, dass es irgendwie gut weitergeht.

Ich persönlich könnte mal eine Pause von dem dauernden Chaos gebrauchen, einfach mal 3-4 Wochen, in denen sich nicht ununterbrochen alles ändert und dauern neue Maßnahmen oder Regeln gelten. Aber auch das ist ja nur ein vordergründiges Bedürfnis. Wenn ich genauer darüber nachdenke, dann steckt dahinter zweierlei: Das Bedürfnis nach Ruhe und Entspannung – das nach über einem Jahr Chaos ziemlich groß ist. Und das Bedürfnis nach Kontrolle und Sicherheit: Zuverlässige Pläne machen können; selber entscheiden, wie und mit wie vielen Menschen ich meine Zeit verbringe; einfach mal wieder meine Arbeit machen können… Das sind so Vorstellungen, die grade einen großen Durst in mir wecken.
Was brauche ich zum Leben?
Jesus sagt: „Wenn jemand Durst hat, soll er zu mir kommen und trinken.“
Das heißt: Ihr braucht mich.
Zum echten, erfüllten Leben braucht ihr das, was ich euch gebe.
Die Sehnsucht nach Nähe – die kann Jesus stillen: „Siehe, ich bin bei Euch bis an der Welt Ende.“
Die Sehnsucht nach Weite und Freiheit: „Gott, du stellst unsere Füße auf weiten Raum.“
Und der Durst nach Sicherheit und Ruhe: „Kommt her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid, ich will euch erquicken.“
Jesus hat sehr genau im Blick, was wir Menschen brauchen. Und er bietet es uns an.

Trotzdem würde ich mal behaupten, dass mehr Menschen mit einer Wasserflasche in der Tasche rumlaufen als mit einer Bibel.
Es scheint so viel leichter zu sein, die vordergründigen Bedürfnisse zu stillen und die echten Bedürfnisse nicht in Angriff zu nehmen. Das ist schade. Und es ist sehr kurzfristig gedacht.

Aber es ist ja auch eine heftige Frage, wenn ich sie ernst nehme:
Was brauche ich zum Leben?
Das kann ganz schön weh tun, darauf eine ehrliche Antwort zu finden.
Weil ich mir klar machen muss, was in meinem Leben fehlt.
Und weil dazu auch gehört, mir einzugestehen, was ich falsch gemacht habe.
Wo ich mich selbst und meine echten Bedürfnisse verleugnet habe.
Wo ich übersehen habe, was grade wichtig ist und was nötig ist.
Wo ich mich selbst komplett falsch eingeschätzt habe.

Das, was Jesus anbietet, ist nicht so einfach wie morgens beim Aus-dem-Haus-gehen schnell eine Thermoskanne mit Tee einpacken. Es erfordert deutlich mehr Nachdenken über mich und mein Leben.

Was ja aber auch logisch ist – denn immerhin bietet Jesus uns hier nicht nur einen schnellen Schluck Wasser an, sondern das „Wasser des Lebens“.

Ich wäre grade oft froh, es wäre einfacher. Es wäre schön, es gäbe eine Patentlösung für mich und für uns alle. Eine einfache Gebrauchsanweisung. So wie die Gesundheitsapostel sie im Netz liefern: 1,5 – 2,5 Liter Wasser am Tag kontinuierlich in kleinen Schlucken über den Tag verteilt…

Den Gefallen tut uns Jesus leider nicht.
Er gibt als Anweisung nur: „Wenn jemand Durst hat, soll er zu mir kommen und trinken.“
Zu ihm kommen – das ist alles, was wir befolgen sollen.
Nicht sehr präzise.
Aber ein Weg.
Ein Weg, den wir gehen können.
Ein Weg, den wir gehen müssen, wenn wir unseren Durst nach Leben stillen wollen.

Klar bei diesem Weg sind nur zwei Dinge:

Das Ziel – nämlich Jesus.
Und: Wir gehen nicht allein.

Das Bild vom Wasser, dass Jesus uns anbieten, wird im Predigttext ja noch weitergeführt:
„Jeder, der an mich glaubt, so sagt es die Heilige Schrift: Ströme von lebendigem Wasser werden aus seinem Inneren fließen.“

Es geht nicht nur um mich.

Das ist ein wichtiger Punkt, der manchmal ganz gerne übersehen wird. So, wie jeder seine Wasserflasche mit sich rumschleppt, damit sein Trinkbedürfnis sofort gestillt werden kann. So wird oft von Kirche und Gemeinde und Glauben erwartet, dass sie zuallererst dazu da sind, das eigene Bedürfnis zu stillen. Wellnesschristentum halt. Hauptsache, mir geht es gut.

So ist das hier aber nicht. Das Wasser des Lebens, das Jesus uns anbietet, gehört uns nicht – wir sollen es weitergeben.

Das Bild gefällt mir dafür, wie ich als Christin leben will und wie ich mir wünsche, dass wir als Gemeinde miteinander leben:
Aufmerksam auf unsere eigenen Bedürfnisse – was brauche ich jetzt grade von Jesus?
Aber auch durchlässig für das, was er uns gibt.
Das, was wir bekommen, weitergeben – mit vollen Händen austeilen.

Und das macht dann mir und jedem von uns den Weg zu Jesus auch leichter.
Denn dann ist da auf einmal ganz viel da vom Wasser des Lebens.
Ganze Ströme.
Wenn wir uns gegenseitig weitergeben, was wir haben – uns helfen und zuhören und trösten und unterstützen – dann ist der Weg für den einzelnen nicht mehr ganz so weit und mühsam.
Dann haben wir alle ein Chance, zum Wasser des Lebens zu kommen.
Amen.