Predigt über Röm 5,6-8 am Sonntag Reminiszere (2. Sonntag der Passionszeit, 28.2.2021) Pfarrerin Deborah Martiny

Hören Sie hier die Predigt eingesprochen von Pfarrein Deborah Martiny.


„Aber Gott beweist seine Liebe zu uns dadurch, dass Christus für uns gestorben ist, als wir noch Sünder waren.“ Das ist der Wochenspruch, der uns in der kommenden 3. Fastenwoche begleiten soll. Mit den beiden vorangehenden Versen ist er heute unser Predigttext. Ich lese den ganzen Text aus dem Römerbrief, Kapitel 5:

„Christus ist für uns gestorben, als wir noch schwach waren. Das heißt: Er starb für Menschen, die zu diesem Zeitpunkt noch ohne Gott lebten! Dabei wird sich kaum jemand finden, der für einen gerechten Menschen stirbt. Jemand ist vielleicht gerade noch bereit, sein Leben für einen Menschen herzugeben, der Gutes tut. Aber Gott beweist seine Liebe zu uns dadurch, dass Christus für uns gestorben ist, als wir noch Sünder waren.“ (Röm 5,6-8, BB*)
Amen.

Liebe Gemeinde,
darf man eigentlich kleine Kinder taufen? Das habe ich in meiner alten Gemeinde jahrelang nach wirklich jedem Taufgottesdienst mit immer der gleichen Person diskutiert: „Man kann doch kein Kind taufen, dass gar nicht versteht, was da passiert! Für den Glauben muss man sich doch entscheiden! Bei der Taufe muss man sich doch bewusst bekennen zu Jesus!“
Und jedes mal wieder habe ich geredet, erklärt, argumentiert: „Nein, so ist das nicht. Glauben ist nichts, was wir leisten. In der Taufe sagt Gott Ja zu uns. Ohne Bedingungen. Ohne Leistung oder Verdienst. Gottes Liebe ist ein Geschenk. Darum geht es in der Taufe.“

Mein Gegenüber und ich haben nie wirklich zueinander gefunden in diesen Diskussionen. Aber mich hat es darin bestärkt, wie wichtig es mir ist, dass Gott uns ganz ohne Vorleistungen liebt. Und wie gut das in der Kindertaufe sichtbar wird. Für mich ist dieser Moment, in dem ich einem winzigen, hilflosen Kind zuspreche: „Gott liebt dich“ – der entscheidende Moment meines Glauben. Der Moment, in dem greifbar und sichtbar wird, worum es auch im Predigttext geht:
Gottes bedingungslose Liebe.

Er erweist seine Liebe zu uns darin, dass Christus für uns gestorben ist, als wir noch Sünder waren. So sagt es Paulus.
Als wir noch nichts getan, nichts geleistet, uns nichts verdient hatte.
Da hat Gott uns schon geliebt.

Nichts getan, nichts geleistet, nichts verdient.

Wir haben uns Gottes Liebe nicht verdient.
Wir können sie uns gar nicht verdienen.
Das sind schwierige Sätze.
Und stimmen sie überhaupt?

Wir sind ja alle keine Unmenschen.
Wir morden nicht, schlagen nicht, betrügen nicht, stehlen nicht.
Ich nicht – und ich gehe davon aus: Sie auch nicht.
Und trotzdem:
Wir haben seine Liebe nicht verdient.
Für Paulus war das völlig klar, als er den Römerbrief schrieb.
Für mich ist das auch klar, wenn ich ehrlich mit mir selbst bin.
Ich habe es nicht verdient, dass mich jemand vorbehaltlos, ohne Bedingungen, ohne Gegenleistung über alles liebt.
Womit denn?
Ich bin vielleicht nicht schlechter als andere Menschen – aber sicher auch nicht besser.
Es geht hier ja nicht um die großen Sünden – es geht einfach darum, wie wir Menschen sind.
Und ich finde, Paulus trifft ganz gut den Nagel auf den Kopf, als er unseren Zustand „schwach“ nennt.

Ja, ich weiß, Rechthaberei ist doof und verletzt Menschen. Aber wenn ich es doch wirklich besser weiß…
Ja, ich weiß, lästern und Gerüchte verbreiten ist schlecht – steht ja schon in den 10 Geboten. Aber es macht halt schon Spaß…
Ja, ich weiß, Autofahren ist schlecht für die Umwelt und Fleisch essen sowieso und Plastikmüll erst recht.
Weiß ich alles – und bin doch immer wieder schwach.

Nicht mehr und nicht weniger als andere.
Und trotzdem so, dass ich klar sagen muss:
Ich habe Gottes Liebe nicht verdient.
Ich habe es nicht verdient, dass er Jesus geschickt hat.
Dass Jesus für mich gestorben und auferstanden ist.
All das habe ich nicht verdient.
Gott hat es trotzdem getan.
Weil er mich liebt.
Weil er uns liebt.
Einfach so.

Einfach so – einfach ist das natürlich absolut nicht.
Deshalb die immer wiederkehrenden Diskussion vor der Kirchentür damals.
Einfach ist das nicht.
Das merke ich jedes mal auch, wenn ich das Thema mit Schülern im Unterricht bespreche.
Bei dem Satz:
„Für Gott ist jeder Menschen wertvoll.“ kriege ich immer viel Zustimmung.
Klingt ja auch so schön.
Kuschelkirche.
Wohlfühlchristentum.
Alles gut.

Hmm, aber wie ist das mit einem Mörder? Einem Kinderschänder?
Und – darin gipfelt diese Frage eigentlich immer im Religionsunterricht:
Was ist mit Hitler? Liebt Gott den auch? Vergibt er dem auch? Dem größten Massenmörder der Geschichte? Der unvorstellbares Leid über unzählige Menschen gebracht hat?

Schüler*innen beschäftigt diese Frage immer sehr.
Und sie sind meistens sehr unzufrieden, wenn ich ihnen sagen muss, dass ich ihnen darauf keine Antwort geben kann – aber das es zumindest nicht ausgeschlossen ist.
Dass es ja konsequent wäre, wenn auch für Mörder und Betrüger und Verbrecher gilt:
„Gott beweist seine Liebe zu uns dadurch, dass Christus für uns gestorben ist, als wir noch Sünder waren.“

Ich finde, diese Frage – Kommt Hitler auch in den Himmel? – zeigt wie schwierig der Predigttext eigentlich wirklich ist.
Wie mühsam es ist zu verstehen, dass Gottes Liebe größer ist als alles, was wir uns vorstellen können. Dass sie allen Menschen gilt.
Auch meinem nervigen Nachbarn.
Auch der Freundin, die mich belogen hat.
Dem Ex-Partner, der mich verletzt hat.
Dem Chef.
Dem blöden Lehrer…
Auch denen gilt Gottes Liebe.

Puh.
Anstrengender Gedanke.
Mühsam.
Denn wenn Gott die alle auch liebt – dann muss ich ja vielleicht auch mal drüber nachdenken, wie ich mit ihnen umgehe…
Da ist dann plötzlich nix mehr mit kuscheligem Wohlfühlchristentum.

Gottes Liebe ist nicht einfach und nett und harmonisch.
Sie ist ganz anders als das, was wir uns so unter Liebe vorstellen:
Eine Liebe ohne Bedingungen, ohne Gegenleistung – das kriegen wir Menschen doch gar nicht hin.

Klar, ich liebe meine Ehemann, meine Kinder, meine Eltern und Geschwister.
Aber ich habe auch an sie alle ganz schön viele Ansprüche.
Und ich will ja auch was zurück kriegen für meine Liebe:
Geborgenheit, Sicherheit, Verständnis, Unterstützung…
Das erwarte ich schon, wenn ich jemanden liebe.

Gott will das alles nicht.
Er liebt uns ganz ohne solche Erwartungen an uns zu stellen.
Und deshalb kann er auch einem winzigen Kind schon zusagen:
„Ich liebe dich, du bist unendlich wertvoll.“

Und deshalb schickt er uns Jesus Christus, als wir noch Sünder waren.
Als wir noch keinen Finger für ihn gerührt hatten.
Als wir ihn noch gar nicht kannten.
Als wir Dinge getan haben, die falsch waren.
Da schickt er uns seinen Sohn um uns zu sagen und zu zeigen:
Ich liebe euch.
Einfach so.

Ich weiß nicht, wie das Ihnen geht – aber je nachdem, wie es mir grade geht, finde ich diese Vorstellung unheimlich – eine absolute Zumutung – oder unendlich befreiend.

Unheimlich, weil ich mir das in letzter Konsequenz gar nicht vorstellen kann.
Dass es da jemanden gibt, der mich durch und durch kennt und trotzdem sagt:
Ist ok. Ist gut. Du bist gut. Gut genug. Mehr als das: Ich liebe dich.
Was heißt das denn für mich und mein Bild von mir selbst?!
Eine Zumutung, weil es eben immer wieder auch von mir fordert: Sieh und nimm ernst, dass es allen Menschen gilt. Und überleg dir, wie du mit einem Menschen umgehst, der von Gott so sehr geliebt wird.

Und befreiend, weil ich einmal – in dieser einzigen Beziehung – nichts leisten, nichts darstellen muss. Mich nicht abrackern. Mich nicht unsicher fühlen. Mich nicht verstecken. Sondern einfach da sein. Geliebt sein. Wie ein kleines Kind.

Liebe Gemeinde,
damit sind wir wieder bei der Kindertaufe.
Für mich ist dieser Moment am Taufbecken jedes mal wieder ein ganz besonderer, berührender Moment.
Der Moment aus dem mein Glaube lebt und sich nährt.
Ein winziges Kind zu sehen und ihm zusagen zu können:
Gott liebt dich.
Einfach so.

Dabei spüre ich, wie groß und fremd und überwältigend und unglaublich diese Liebe Gottes ist.
Seine Liebe zu allen Menschen.
Und eben auch seine Liebe zu mir.
Amen.