Predigt zur Jahreslosung 2021
Pfarrerin Deborah Martiny
Liebe Gemeinde,
2020 war trotz allem ein gutes Jahr für uns als Gemeinde.
Das ist das Ergebnis auf unserer Jahreswaage.
Ja – beim persönlichen Jahresrückblick würde die Waage vielleicht für manchen von uns ein anderes Ergebnis bringen.
Für viele Menschen war 2020 ein schweres und mühsames Jahr.
Aber ich hoffe, dass Sie alle immer wieder spüren konnten: Gott war da.
Grade in den dunklen Zeiten ist er bei uns.
Für das neue Jahr 2021 gibt uns Jesus mit der Jahreslosung den Auftrag:
„Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist!“ (Lukas 6,36)
„Barmherzig“ klingt erstmal fremd – das ist ein so altes Wort, dass wir kaum noch wissen, was damit gemeint ist.
Barmherzig ist in der Bibel vor allem Gott – Barmherzigkeit ist eine seiner wichtigsten Eigenschaften.
Und weil er es ist, können und sollen wir es sein.
Das ist die Logik von Jesus: Richtet Euch nicht an den Menschen aus, richtet Euch an Gott aus.
Versucht so zu sein, wie er ist: barmherzig eben.
Das Spannende an der Barmherzigkeit ist, dass sie ohne ein Gegenüber nicht funktioniert.
Keiner kann alleine barmherzig sein.
Ich brauche dazu ein Gegenüber, einen Menschen, dem gegenüber ich barmherzig sein kann.
Barmherzigkeit ist nämlich nicht nur ein Gefühl – sie ist eine aktive Haltung.
Barmherzig sein ist etwas, das ich tue:
Ich wende mich einem Menschen zu; ich sehe ihn und nehme ihn ernst; ich beharre nicht auf meinem Recht, sondern sehe seine Not; ich helfe, wo ich helfen kann.
Das alles ist Barmherzigkeit.
Wir werden solche Barmherzigkeit im kommenden Jahr brauchen.
Sehr sogar.
Denn trotz Impfstoff ist ein Ende der Pandemie kaum absehbar.
Und je länger sie geht, umso größer werden die Herausforderungen für uns.
Mehr denn je werden wir im kommenden Jahr darauf achten müssen, niemanden aus dem Blick zu verlieren. Wir werden lernen müssen, noch mehr als bisher von uns selbst wegzuschauen auf die anderen Menschen hin. Als Gemeinde, als Stadt, als Nachbarschaft aufmerksam zu bleiben für die Nöte und Bedürfnisse der Menschen um uns herum. Gemeinschaft in der Familie oder hier in der Kirche neu zu definieren, neu zu gestalten. Das wird unsere große Aufgabe werden im Jahr 2021, wenn wir die Jahreslosung ernst nehmen.
Wir werden aber auch als Land und als Gemeinde weiter miteinander verhandeln müssen, wie wir mit der Pandemie umgehen: Was ist möglich, was ist sinnvoll, was ist verantwortbar? Das hat uns das ganze letzte Jahr umgetrieben, das wird nicht leichter werden. Hier gemeinsam einen guten Weg zu finden, wird uns nur gelingen, wenn wir barmherzig miteinander umgehen – nicht auf unserer Meinung und unserem Recht beharren, sondern zuhören, zuschauen und dem Anderen zugestehen, auch etwas Wichtiges zu sagen zu haben, selbst wenn wir nicht einer Meinung sind.
Und wir werden immer wieder auch barmherzig mit uns selbst sein müssen: Wir können nicht alles richtig machen – das wird uns nicht gelingen. Wir können weder uns noch andere mit 100% Sicherheit vor Ansteckung schützen. Wir werden Entscheidungen treffen, die sich später als falsch herausstellen. Wir werden Dinge tun, die sich als gefährlich erweisen. Hier werden wir ganz besonders einen barmherzigen Blick auf die Welt und auf uns selbst brauchen.
Liebe Gemeinde,
„Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist!“ (Lukas 6,36)
Wir werden diese Jahreslosung oft nötig haben im kommenden Jahr.
Und ich hoffe, es gelingt uns, mit ihr durch das Jahr 2021 zu gehen:
Barmherzig mit uns und der Welt.
Damit wir dann in einem Jahr, wenn wir das Jahr 2021 abwiegen und beurteilen, auch wieder sagen können: Es war ein gutes Jahr.
Amen.