Predigt über Lk 19,1-10 (14. Sonntag nach Trinitatis, 13.09.2020; Corona-GD)
Der Predigttext für heute ist die Geschichte von Zachäus. Sie steht im Lukasevangelium, im 19. Kapitel:
Jesus kam nach Jericho und zog durch die Stadt. Und sieh doch:Dort lebte ein Mann,der Zachäus hieß. Er war der oberste Zolleinnehmer und sehr reich. Er wollte unbedingt sehen, wer dieser Jesus war. Aber er konnte es nicht, denn er war klein und die Volksmenge versperrte ihm die Sicht. Deshalb lief er voraus und kletterte auf einen Maulbeerfeigenbaum, um Jesus sehen zu können – denn dort musste er vorbeikommen. Als Jesus an die Stelle kam,blickte er hoch und sagte zu ihm: »Zachäus, steig schnell herab. Ich muss heute in deinem Haus zu Gast sein.« Der stieg sofort vom Baum herab. Voller Freude nahm er Jesus bei sich auf. Als die Leute das sahen, ärgerten sie sich und sagten zueinander: »Er ist bei einem Mann eingekehrt, der voller Schuld ist!« Aber Zachäus stand auf und sagte zum Herrn: »Herr, sieh doch: Die Hälfte von meinem Besitz werde ich den Armen geben. Und wem ich zu viel abgenommen habe, dem werde ich es vierfach zurückzahlen.« Da sagte Jesus zu ihm: »Heute ist dieses Haus gerettet worden, denn auch er ist ein Sohn Abrahams! Der Menschensohn ist gekommen, um die Verlorenen zu suchen und zu retten.« Amen.
Liebe Gemeinde,
„Keiner mag mich!“ (wird auf einem großen Schild aufgestellt)
Blöder Satz, oder?!
Aber damit beginne ich in der 1. Klasse im Reliunterricht immer die Stunde über Zachäus. Und die 5 oder 6jährigen können sehr genau sagen, wie sich das anfühlt:
Keiner mag mich.
Ich kenne das selbst noch aus meiner Schulzeit: Als ich in die neunte Klasse gekommen bin, ist meine Familie umgezogen und ich musste die Schule wechseln. Mit 15 nochmal in einer ganz neue Klasse kommen – das war kein Spaß. Ich bin weit über ein Jahr mit genau dem Gefühl jeden Morgen in die Schule gegangen: Keiner mag mich.
Es war richtig schlimm.
Vielleicht spüre ich deshalb immer große Sympathie für Zachäus.
Normalerweise wird er ja immer als der Bösewicht dargestellt. Der gemeine Betrüger, der alle übers Ohr haut und abzockt. Und die Moral von der Geschichte ist dann:
Hey, schaut her, mit was für schlimmen Leuten sich Jesus abgegeben hat.
Ich habe aber gemerkt, dass Zachäus mir erst mal einfach leid tut.
Ganz egal, was er getan hat, ob er jetzt ein böser Mensch war oder nicht.
Er tut mir einfach leid.
Weil ich ahne, wie schrecklich das Leben trotz seines Reichtums für ihn gewesen sein muss. Weil ich vermute, dass er sich hinter seinem Reichtum nur verbarrikadiert hat, um seine Einsamkeit nicht eingestehen zu müssen. Dass er vielleicht laut und protzig aufgetreten ist und andere fertig gemacht hat – weil er so allein und unglücklich war.
Und weil ich das alles so gut verstehen kann.
Die Kinder können das übrigens auch.
Diesen Satz hier: „Keiner mag mich!“ – den begreifen Kinder ganz instinktiv.
Sie wissen sofort, wie schlimm das ist.
Und – sie lieben vielleicht genau deshalb die Geschichte von Zachäus so.
Weil sie sich so gut einfühlen können – und weil am Ende der Geschichte ein ganz anderer Satz steht:
„Jesus ist mein Freund.“ (das Schild wird umgedreht, auf der Rückseite steht der zweite Satz)
Ich habe schon Erstklässler erlebt, für die war das eine richtige Erleichterung. Ich konnte sehen, wie sie körperlich aufgeatmet haben, in dem Moment, in dem ich das Schild umgedreht habe, wie sie sich grade hingesetzt haben und ihre Augen zu strahlen anfingen.
Einfach nur, weil sie gespürt haben, was das bedeutet:
Zachäus ist nicht mehr allein, er hat jetzt einen Freund.
Bei Kindern trifft das einen Nerv – und ja, bei mir auch.
Ich glaube, man kann diese Zachäus-Geschichte ziemlich kaputt reden, wenn man das nicht sieht und nachspürt: Dieses Gefühl von tiefer Einsamkeit und Unglück, das sich wandelt in ganz großes Glück.
Man kann die Geschichte – wie gesagt – kaputt reden, wenn man sie nur als Beispiel dafür nimmt, wie gütig und gnädig Jesus war, dass er sich mit Verbrechern und Abzockern abgegeben hat und sie bekehrt hat und zu guten Menschen gemacht hat.
Für mich ist die Zachäus-Geschichte etwas ganz anderes. Mich erinnert sie an meine einsamen Zeiten. Die Zeiten, in denen ich eben dachte: Keiner mag mich.
Die Zeiten, in denen ich mich verloren gefühlt habe.
Am Ende der Geschichte sagt Jesus ja: „Der Menschensohn ist gekommen um die Verlorenen zu suchen und zu retten.“
Verloren sein – ja, das beschreibt ziemlich genau, wie es sich anfühlt, mit 15 völlig allein in einer großen Menge Gleichaltriger auf dem Schulhof zu stehen und nicht zu wissen, wohin man schauen soll oder was man mit seinen Händen anfangen soll.
Und „verloren sein“ trifft auch sehr gut das Gefühl, dass mich im letzten halben Jahr immer mal wieder überfällt: Wie geht es weiter? Wie kann ich weiter arbeiten hier in der Gemeinde? Wie können wir weiter die Familie und unsere Freundschaften gestalten? Was passiert hier eigentlich grade in unserem Land und auf unserer Welt?
Ich vermute mal, jeder von Ihnen kann das nachfühlen – das Gefühl, „verloren“ zu sein.
Und da kommt jetzt Jesus.
Einfach so.
Ohne Bedingung, ohne Forderung.
Einfach nur mit dem Angebot:
Ich will dein Freund sein. Ich mag dich. Du bist mir wichtig.
Ist Ihnen aufgefallen, wie genau es abläuft?
Es ist nämlich nicht so, dass Zachäus zu Jesus kommt und sich ihm zerknirscht zu Füßen wirft und Besserung gelobt.
Nein.
Jesus kommt zu Zachäus und sagt: „Ich muss heute in deinem Haus zu Gast sein.“
Erst viel, viel später, nach dem Essen, verspricht Zachäus, sich zu ändern.
Am Anfang steht das Angebot von Jesus: Ich bin für dich da.
Das ist für mich der zweite Punkt, an dem mich die Zachäus-Geschichte anrührt:
Ich muss nichts leisten. Jesus kommt zu mir. Ohne Bedingung, ohne Forderung. Einfach nur mit dem Satz: Ich muss zu dir kommen. Weil du mir so wichtig bist.
Ich muss noch nicht mal versuchen, mich ändern. Jesus verändert mich. Indem er für mich da ist.
Und ja – das fühlt sich gut an. Sehr gut.
Dass da einer ist, der mich mag – egal, wie ich bin.
Dass da einer ist, der zu mir kommt – einfach so.
Der mit seine Freundschaft anbietet.
Das ist wirklich ein Gefühl zum Aufatmen, zum Aufrichten – zum glücklich sein.
Für mich bringt dieses Plakat das auf sehr einfache Art zum Ausdruck:
Diesen Wandel vom großen Unglück zum großen Glück.
(Schild wird gewendet)
Darüber, wie schnell das geschehen kann, wenn ich es ernst nehme, dass Jesus auch zu mir kommen möchte.
Zachäus, das hat das begriffen. Der hat sich von Jesus ändern lassen.
Das gelingt mir natürlich nicht so gut wie ihm.
Ich bin nicht von jetzt auf gleich an besserer Mensch.
Muss ich aber auch nicht.
Denn das Angebot von Jesus gilt ja trotzdem:
Ich muss zu dir kommen.
Du bist mir wichtig.
Am Ende der Zachäus-Geschichte und am Ende meiner eigenen Geschichte mit Jesus steht immer dieser Satz:
Schild wird gezeigt
Jesus will mein Freund sein.
Amen.