Dialogpredigt über Joh 9,1-7 (Pfarrerin Deborah Martiny und Peter Bissert)
Deborah Martiny: Der Predigttext für heute ist eine Geschichte aus dem Johannesevangelium, aus dem 9. Kapitel. Ich lese aus der Basisbibel:
„Im Vorbeigehen sah Jesus einen Mann, der von Geburt an blind war. Da fragten ihn seine Jünger: »Rabbi, wer hat Schuld auf sich geladen, sodass er blind geboren wurde – dieser Mann oder seine Eltern?« Jesus antwortete: »Weder er selbst hat Schuld auf sich geladen noch seine Eltern. Er ist nur deshalb blind, damit das Handeln Gottes an ihm sichtbar wird. Wir müssen die Taten vollbringen, mit denen Gott mich beauftragt hat, solange es noch Tag ist. Es kommt eine Nacht,
in der niemand mehr etwas tun kann. Solange ich in dieser Welt bin, bin ich das Licht für diese Welt.« Nachdem er das gesagt hatte, spuckte er auf den Boden. Aus dem Speichel machte er einen Brei und strich ihn dem Blinden auf die Augen. Dann sagte er ihm: »Geh und wasche dich
im Wasserbecken von Schiloach!« (Schiloach heißt übersetzt ›der Abgesandte‹.) Der Mann ging dorthin und wusch sich. Als er zurückkam, konnte er sehen.“ Amen.
Peter Bissert: Soweit der für heute vorgeschriebene Text. Der bildet aber nicht mal die halbe Story ab. Jetzt geht es nämlich erst richtig los: Einige Menschen zweifeln an, das dies dem Blinden geschehen ist und fragen nach, wie das abgelaufen ist – und der Geheilte erzählt. Dann regen sich manche drüber auf, das Jesus am Sabbat heilt – also arbeitet und zerren den Geheilten vor die Pharisäer. Die fragen nach – und er erzählt seine Geschichte zum zweiten mal. Das glauben die ihm nicht und befragen deshalb seine Eltern. Die sagen aber, der Sohn ist alt genug fragt ihn selber. Das machen die Pharisäer. Der Geheilte hat jetzt aber die Nase voll und antwortet ziemlich frech: Ich hab’s euch schon gesagt. Ihr hört wohl nicht zu. Wollt ihr etwa auch ein Jünger von ihm werden? Das finden die Pharisäer natürlich nicht so toll. Werden sauer und beschimpfen ihn. Sie sagen: Wir wissen dass Mose mit Gott gesprochen hat, aber von dem da (Jesus) wissen wir nicht mal woher er kommt. Der Geheilte legt ziemlich deutlich dar, das nur jemand dieses Wunder vollbringen kann, wenn er von Gott kommt.
Die Pharisäer reagieren wie alle, denen die Argumente ausgehen – sie schmeißen ihn raus.
Das kriegt Jesus mit und fragt ihn ob er an ihn, den Menschensohn glaubt. Und das tut er.
In Vers 39 heißt es dann zum Abschluss: Jesus spricht: Ich bin in diese Welt gekommen um Gericht zu halten. Diejenigen, die nicht sehen können, sollen sehen. Und diejenigen die sehen können, sollen bind werden.
Die Pharisäer fragten: Sind wir etwa auch blind?
Jesus antwortete: Wenn ihr blind wärt, hättet ihr keine Schuld. Aber jetzt behauptet ihr: Wir sehen! Darum bleibt eure Schuld bestehen!”
Deborah Martiny: Ja, das verändert die Geschichte nochmal sehr, wenn ich so den ganzen Zusammenhang höre. Aber dieses ganze Hin und Her mit den Befragungen und wer sieht was und sieht was nicht und wer hat was gesagt und getan… was heißt das denn für uns? Was bedeutet diese endlos lange Geschichte für mich und dich?
Peter Bissert: Vielleicht sollen wir daraus lernen, mehr Vertrauen zu haben in die Geschichte, die Person und die Lehre von Jesus. Und uns nicht von anderen davon abbringen oder verunsichern lassen. So wie der Geheilte. An Jesus zu glauben. Zu sehen, was wirklich wichtig ist im Leben.
Deborah Martiny: Klingt gut – aber wenn ich das höre, muss ich sofort denken: Gar nicht so einfach. Im Alltag drängt sich doch der Kleinkram dauernd in den Vordergrund. Da ist für Jesus oft wenig Platz. Ich sehe dann einfach nicht, was wirklich wichtig ist. Oder ich schaff es nicht, mich echt auf ihn zu verlassen, wenn mir mal wieder alles über dem Kopf zusammenschlägt. Dann seh ich nur noch die Probleme und Jesus gar nicht mehr. Dann fühle ich mich eher wie die Pharisäer: Blind.
Ich frage mich ganz oft: Warum ist das so? Warum fällt es uns heute immer noch so schwer, Jesus und Gott wirklich zu sehen? Warum hängen wir fest in unsere blöden Angewohnheiten und schaffen es nicht, unser Leben so zu ändern, wie Jesus das will?
Peter Bissert: Vielleicht ist die Scheuklappenblindheit der Pharisäer und oft genug auch unsere eigene auch so ne Art “Selbstschutz”. Vieleicht ist uns Gott zu groß, zu mächtig in gewisser Weise unheimlich und wir halten es gar nicht so richtig aus, dass er so in unser Leben eingreift. Da müssten wir ja auch ganz viel Kontrolle über unser Leben abgeben. Dann führen wir alles mögliche ins Feld um vom Wesentlichen abzulenken. Machen zur Not auch Formfehler geltend, damit alles so bleibt wie es ist und wir unser Handeln und tun nicht hinterfragen müssen. So wie die Pharisäer mit ihrer “Sabbatgeschichte” – als sie Jesus vorwerfen, er hätte nicht heilen dürfen, weil doch Sabbat ist. Die regen sich eher über eine Regelverletzung auf, als sich über das Wunder mit zu freuen.
Deborah Martiny: Das ist, glaube ich, das große Problem. Wir kennen die Geschichten von Gott und Jesus und versuchen auch, als Christen zu leben, aber wir bleiben doch gefangen in unserem Alltag und unseren Gewohnheiten. Machen halt irgendwie weiter, wurschteln uns durch und halten uns an mehr oder weniger sinnvollen Regeln fest. Das hat sich seit damals zur Zeit von Jesus nicht geändert.
Peter Bissert: Na toll! Das Problem gibt’s also seit 2000 Jahren – und wenn man die Geschichten aus dem Alten Testament nimmt noch viel länger. Und wie lange denn noch?
Deborah Martiny: Ich fürchte, für das Problem gibt es keine Lösung. Das werden wir so lange haben, wie es Menschen auf der Welt gibt… Das ist einfach die Spannung, das Grundbproblem, mit dem wir als Christen leben: Wir wissen, wie wir leben und glauben sollten und schaffen es trotzdem nicht.
Ich hab aber beim Lesen vom Predigttext gemerkt, dass mir das nicht reicht. Dann könnten wir ja sagen: „Kann man eh nix machen“ und einfach irgendwie halbherzig weitermachen oder unseren Glauben gleich ganz aufgeben. Das will ich nicht. Ich möchte mehr vom Glauben und auch mehr vom Leben als Christin. Deshalb finde ich den Anfang der Geschichte so gut: Der Blinde sitzt einfach nur da und macht das, was er immer macht. Also so wie wir alle jeden Tag – das totale Gewohnheitstier. Er ruft ja nicht mal nach Jesus, er bittet nicht um Hilfe. Er hat offenbar keine Vorstellung davon, dass sich was ändern könnte für ihn. Und Jesus kommt vorbei, sieht ihn an und hilft ihm. Einfach so. Das ist doch super! Auch wenn ich mal wieder total im Alltag versinke und gar keinen Blick mehr für Gott habe, kann es passieren, dass Jesus einfach zu mir kommt und sagt: „Hey, schau hin, sieh mich – du kannst das.“ Und dann kann sich von jetzt auf gleich alles verändern für mich. Das finde ich eine total schöne und tröstende Vorstellung, dass Jesus mir das immer wieder schenkt, auch wenn ich nix dafür tue. Dann ist vielleich doch nicht alles umsonst…
Peter Bissert: Das mit der Gnade versteh ich schon. Für den Blinden ist alles super gelaufen – mal abgesehen von der Frage warum er sein ganzes Leben lang blind sein musste – bis Jesus schließlich an ihm seine Macht zeigte.
Aber was ist mit der Blindheit der Pharisäer und der Skeptiker?
Deborah Martiny: Damit sind wir wieder am Ausgangspunkt: Warum schaffen wir das nicht alle und immer total gute und überzeugte Christen zu sein?! Ganz ehrlich: Keine Ahnung. Ich weiß nicht, warum Jesus nicht einfach allen Menschen so die Augen öffnet wie dem Blinden in der Geschichte. Aber vielleicht kann man es so denken: Auch für die Pharisäer und Skeptiker gilt doch, was für den Blinden gilt: Jesus kann für sie alles verändern, er kann sie gesund machen, er kann ihnen die Augen für Gott öffnen. Und er tut das auch immer wieder. Also, zumindest für mich tut er das immer mal wieder. Dann merke ich, wie er mir die Hand auf die Schulter legt und mich in die richtige Richtung schubst. Dann packt er mich und schüttelt mich ein bisschen und sagt: „So nicht, liebe Deborah.“ Ja, das ist nicht immer so und es ist nicht immer einfach zu kapieren. Es ist mir nie so gegangen wie dem Blinden, dass Jesus einmal vorbei kommt und auf einmal ist alles gut. Für mich ist das eher so ein dauerndes Hin und Her. Mal klappt es mit dem klaren Blick und mal nicht. Manchmal sehe ich ein bisschen was von Gott und von Jesus und manchmal nicht.
Peter Bissert: Bei mir ist das die meiste Zeit eher Letzteres. Es ist doch echt schwer, das was Gott will im Blick zu behalten. Hier in der Bibel steht ganz genau was er von uns will und die meiste Zeit der Woche hab ich dafür keinen Gedanken. Wenn wir nicht von der Gnade Gottes wüssten, wär es glatt zum verzweifeln. Aber die gibt’s und schon allein aus Dankbarkeit dafür sind wir es Gott “schuldig” – eigentlich passt das Wort hier gar nicht, aber mir fällt kein besseres ein, es immer wieder neu zu versuchen, den richtigen Weg nicht aus dem Blick zu verlieren.
Deborah Martiny: Ich finde das Wort „schuldig“ da gar nicht schlecht. Das ist schon ein grandioses Geschenk, dass Jesus und macht – dass er uns einfach so, nur weil er uns liebt, immer wieder hilft, uns gesund macht, uns den Weg zeigt und uns die Augen öffnet. Ich finde schon, dass wir es ihm schuldig sind, zumindest zu versuchen, auch entsprechend zu leben. Das wir das nicht immer schaffen ist das eine. Aber versuchen sollten wir es! Sonst bleiben wir blind wie die Pharisäer.
Peter Bissert: Jetzt fehlt nur noch ein guter Schlussatz…..
Deborah Martiny: Und den soll ich liefern?! Also, ich versuche es mal: Jesus will uns helfen und er kann uns helfen. Einfach so, weil er uns liebt, ganz ohne Forderungen und Bedinungen. Manchmal schaffen wir es, diese Liebe anzunehmen und manchmal nicht. Das ist eben so im Leben. Aber wie in jeder Beziehung gilt auch in der Beziehung zu Jesus: Wir müssen es immer wieder neu versuchen. Sonst kann die Beziehung nicht funktionieren.
Das war jetzt mehr als ein Schlussatz.. und ich würde eigentlich gerne auch von Dir noch einen hören…
Peter Bissert: Es gibt da ein Filmzitat, ich weiß nicht mehr aus welchem Film, das passt gut, finde ich: „Alles nicht so einfach. Aber hat uns je etwas weiter gebracht, das einfach gewesen wäre?“
Deborah Martiny: Amen.