Themenpredigt über den Lächelnden Christus

 

Liebe Gemeinde,

Christus hängt am Kreuz, blutend und … lächelnd. Nein, das denke ich mir nicht aus. Das habe ich unzählige Male so gesehen. Es handelt sich um das mittelalterliche Altarkreuz der Jakobskirche in Wertheim-Urphar. Um das Jahr 1400 wurde es von einem unbekannten Künstler geschnitzt und es zeigt wirklich den gekreuzigten Christus mit einem Lächeln auf dem Gesicht. Es gibt weltweit nur sehr wenige solche Darstellungen. Zu anstößig der Gedanke, dass Jesus mitten in Leid und Tod lächelt. So anstößig, dass es 1836 ersetzt wurde und auf dem Dachboden der Kirche vor sich hin gammelte, bis es in den schweren Nachkriegsjahren 1951 wieder gefunden und aufgestellt wurde.

Für mich ist die Jesusdarstellung in den Jahren als Pfarrer in Urphar wichtig geworden. Denn diese Kirche war eine der drei Kirchen meiner ersten Pfarrstelle. Wie oft stand ich mit Beginn des Gottesdienstes vor diesem Kreuz, um noch ein kurzes Gebet zu sprechen und mich von Christus anlächeln zu lassen? Wie viele Male hat mir das geholfen bei schwierigen Gottesdiensten und besonders vor Beerdigungen. Dem unbekannten Künstler, der 800 Jahre vor mir lebte, ist es gelungen, meinen Glauben, das, was mir wirklich wichtig ist, darzustellen.

In den schwierigen letzten Tagen und Wochen musste ich oft an den lächelnden Christus denken. Dieses Jahr dürfen wir noch nicht einmal am Karfreitag einen Gottesdienst feiern. Das tut mir sehr weh und ich vermisse den Gottesdienst jetzt schon. Aber gerade darum – weil dieses Jahr alles anders und schwerer ist als sonst – ist der lächelnde Christus von Urphar mir besonders wichtig.

 

Wir hören, wie Jesus gekreuzigt wurde und wie Markus es im 15. Kapitel seines Evangeliums aufgeschrieben hat:

Zur sechsten Stunde kam eine Finsternis über das ganze Land bis zur neunten Stunde. Und zu der neunten Stunde rief Jesus laut: Eli, Eli, lama asabtani? Das heißt übersetzt: Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen? Und einige, die dabeistanden, als sie das hörten, sprachen sie: Siehe, er ruft den Elia. Da lief einer und füllte einen Schwamm mit Essig, steckte ihn auf ein Rohr, gab ihm zu trinken und sprach: Halt, lasst uns sehen, ob Elia komme und ihn herabnehme! Aber Jesus schrie laut und verschied. Und der Vorhang im Tempel zerriss in zwei Stücke von oben an bis unten aus. Der Hauptmann aber, der dabeistand, ihm gegenüber, und sah, dass er so verschied, sprach: Wahrlich, dieser Mensch ist Gottes Sohn gewesen!

 Lächelnder Christus klein

Jesus ist zu Tode gequält worden. Grausam gestorben. Sein Haupt voll Blut und Wunden. Aber der römische Hauptmann schaut ihn an und erkennt: Wahrlich, dieser ist Gottes Sohn gewesen! Obwohl er grausam und unter Schmerzen stirbt, bleibt Jesus Gottes geliebter Sohn. Und kann lächeln.

Beides ist wahr: sein Leid und sein Lächeln. Und beides ist wichtig für uns: Jesus hat wirklich gelitten und ist einen unvorstellbar schmerzhaften und grausamen Tod gestorben. Das geht so weit, dass er – Gott selbst – sich von Gott im Stich gelassen fühlt und betet: Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?

Das heißt für mich: Wir glauben nicht an einen Gott, der irgendwo fern über den Wolken schwebt und das alles nur milde lächelnd anschaut. Wir glauben an einen Gott, der dahin geht, wo es weh tut. Dieser Gott ist ein Gott, der weiß wovon wir reden, wenn wir uns allein fühlen, wenn wir Angst haben, wenn Schmerz uns das Leben zur Hölle macht, wenn wir sterben. Dieser Gott ist gerade jetzt in der Krise bei uns ist. Dieser Gott, der da am Kreuz in den Tod gegangen ist, der geht auch nach Italien und steht an den Sterbebetten. Dieser Gott geht auch nach Gengenbach zu den Einsamen. Dieser Gott ist ganz besonders bei denen, die am meisten unter der Pandemie leiden: bei den Schwachen, den Alten, den Kranken, den Obdachlosen, den Geringverdienern. Dieser Gott hat keine Angst vor der Angst und fürchtet unser „Warum?“ und unsere Klagen nicht. Dieser Gott kennt das alles. Er hat es am eigenen Leib erfahren.

Die Blutspuren auf dem Altarkreuz aus Urphar stehen dafür, dass Christus das alles kennt. Und trotzdem kann er lächeln. Das ist kein leichtfertiges Lächeln. Er tut nicht so, als wäre es nicht so schlimm. Sein Lächeln ist das Zeichen dafür, dass er in allem Leid und Schmerz immer noch Gottes Sohn ist. Von Gott geliebt, getröstet und gehalten. Der Hauptmann unterm Kreuz hat genau das erkannt: Das ist Gottes Sohn. Denn trotz der Schmerzen, der Einsamkeit und des Todes kann Christus lächeln. Er kann das, weil er weiß: Gottes Liebe ist größer als der Tod. Nicht der Tod hat das letzte Wort, sondern Gott. Der Tod hat keine Macht mehr. Er ist für immer besiegt. Das ist doch ein guter Grund zu lächeln!

Das heißt für mich: Wir glauben an einen Gott, der das Leid der Welt kennt – der mein Leid kennt. Aber mir immer wieder sagt und zeigt: Das ist nicht das Ende. Am Ende wird es gut sein. Am Ende wird Gott sein – mit seiner Liebe und seinem Licht und seinem Lächeln. Jesus, Gottes Sohn, lächelt für mich. Weil er weiß, dass Gott mich so sehr liebt.

In der aktuellen Krise ist mir noch einmal deutlich geworden, wie wichtig mir das ist, dass Christus mein Leid und das Elend dieser Welt kennt. Ich sehe bei dem Altarkreuz das Haupt voll Blut und Wunden und weiß: Gott kennt sogar solche Schmerzen, da kennt er wohl auch meinen Kummer. Ich sehe beim Altarkreuz das Lächeln und erkenne darin Gottes Lächeln für uns. So wird mein Blick frei: für Gottes Nähe und für das Heil, das er uns versprochen hat. Wahrlich, so ist Gottes Sohn: Blutend und lächelnd. Amen

 

Bild: Moritz Martiny