Texte zum Sonntag Judika (29. März 2020)

Predigttext: Hebräer 13, 12-14

Wochenspruch: „Der Menschensohn ist nicht gekommen, dass er sich dienen lasse, sondern dass er diene und gebe sein Leben als Lösegeld für viele.” (Matthäus 20, 28)

Psalm: Psalm 43

Evangelium: Markus 10,35–45

 

Predigt von Pfarrer Moritz Martiny

Liebe Gemeinde,
plötzlich ist alles anders. Auf vieles habe ich mich immer selbstverständlich verlassen. Jetzt ist es nicht mehr selbstverständlich. Ich meine all die Dinge über die ich gar nicht richtig nachdenken musste, weil sie Tag um Tag, Woche um Woche und Jahr um Jahr so waren. Auf einmal sind nicht nur in Gengenbach die Geschäfte zu. Menschen, die ausgesorgt hatten, plagen Existenzängste. Der Terminkalender ist leer, aber die Kinder müssen zu Hause beim Lernen unterstützt werden. Und die Predigt kommt nicht von der Kanzel sondern aus dem Computer. Unser Leben war offensichtlich nur vermeintlich eindeutig und sicher. Vieles hat sich als trügerisch herausgestellt. Plötzlich ist alles anders.

Wenn aber all das, was einmal so sicher war wie das sprichwörtliche „Amen in der Kirche“, nicht mehr gilt? Was dann? Vielleicht sollten wir dann unsere Sicherheit einmal wo anders suchen. Das jedenfalls empfahl der für heute vorgesehene Predigttext schon vor fast 2000 Jahren. Der unbekannte Schreiber des Hebräerbriefes sagt: In unserem Leben und in unserer Welt ist alles vergänglich, also konzentrieren wir uns besser auf das, was sein wird. Der entscheidende Vers in Hebräer 13, 12-14 bringt das so zum Ausdruck:

Denn wir haben hier keine bleibende Stadt, sondern die zukünftige suchen wir. Amen

Wie oft habe ich diese Worte schon bei Beerdigungen gesprochen? Wenn wir uns auf den Weg zum Grab machen wird es deutlich: Wir haben keine bleibende Stadt. Wir sind Gäste auf dieser Welt und hier nicht für immer zu Hause. Wir sind unser Leben lang auf der Suche nach der bleibenden Heimat. Wir suchen den Himmel. Der Hebräerbrief ist geschrieben für Christen in der Krise. Damals wie heute gilt, dass wir gegen allen Augenschein glauben müssen. Wir spüren, dass dies hier keine bleibende Stadt ist, aber wir wollen es nicht wahr haben. Denn was diese Welt bietet, das sieht man sofort, was der Himmel bietet, das ist ziemlich verborgen. Und so sind wir Suchende.

Die Altarwand unserer Kirche erzählt übrigens das selbe. Abgebildet sind die Zelte des Volkes Israel auf dem Weg durch die Wüste. Zelte sind deutlich keine bleibende Stadt: Ich baue mein Zelt auf, ich baue es ab und bin weiter auf der Suche. Wir haben hier keine bleibende Stadt, sondern die zukünftige suchen wir.

 

Der Hebräerbrief ist für Christen in der Krise geschrieben und dieser Vers ist mir gerade besonders nah. Die Coronakrise lehrt uns als Gesellschaft und als Einzelnen gerade: Unsere vermeintliche Sicherheit ist wenig wert. Wie schnell kann alles Vergangenheit sein. Keine bleibende Stadt und auf der Suche nach der zukünftigen. Das ist vielleicht auch eine Chance. Ich könnte doch zur Abwechslung versuchen, weniger auf all die vermeintlichen Sicherheiten zu setzen und statt dessen auf Gottes Gnade. Das sind schöne Sätze, aber die entscheidende Frage ist: Wie geht das?

Zunächst: Es kostet Überwindung, denn die vermeintliche Sicherheit der Welt ist deutlicher vor Augen als die wirkliche Sicherheit durch Gott. Meistens setze ich auf das, was ich direkt sehe und nicht auf das entfernte. Die hiesige Stadt ist nun einmal sichtbarer als die bleibende jenseitige Stadt, die ich noch suche. Vielleicht kennen Sie den „Marshmellow-Test“: Ein Psychologe stellte Kindern folgende Aufgabe: „Vor dir liegt ein Marshmellow. Ich verlasse jetzt den Raum. Mit einer Klingel kannst du mich wieder hereinholen und dann darfst du den Marshmellow essen. Wenn du aber so lange wartest bis ich von allein wiederkomme, dann kriegst du sogar zwei Marshmellows.“
Jahre später wurde untersucht, wie erfolgreich die selben Kinder in der Schule sind. Diejenigen, die auf die unsichtbare, weit entfernte Belohnung warten konnten, waren allesamt erfolgreicher als diejenigen, die die sichtbare kleinere Belohnung wählten. Es fällt uns schwer, auf das unsichtbare und unklare zu warten. Aber im Glauben lohnt es sich.

Auch funktioniert das nicht einfach auf Beschluss. Ich kann nicht sagen: „Das mach ich ab jetzt“. Sich auf Gottes Gnade und Barmherzigkeit zu verlassen, muss man lernen. Bei all den Sicherheiten, die sich aktuell als so trügerisch herausgestellt haben, war das aber nicht anders. Das haben wir auch alles mit den Jahren gelernt, worauf ich mich verlassen kann und worauf eben auch nicht. Wir haben das nur schon vergessen, weil es „halt schon immer so war“ und wir von klein auf gelernt haben, diesen Dingen zu vertrauen.

Was unseren Glauben angeht, sehe ich diesen Ausnahmezustand jetzt deshalb auch als Chance. Nicht weil „Not das Beten lehrt“, wie der Volksmund sagt, sondern weil mein Vertrauen in die Sicherheit dieser Welt gerade sowieso enorm gelitten hat. Jetzt habe ich es in der Hand, wie bzw. in welche Richtung, ich dieses Vertrauen neu aufbauen werde. In diese Welt oder in Gott. In zeitliche Dinge oder in die Ewigkeit. Wir haben hier keine bleibende Stadt, sondern die zukünftige suchen wir.

 

Plötzlich ist alles anders. Der Hebräerbrief hat recht: Wir haben hier keine bleibende Stadt. Eines bleibt aber doch gleich: Die Barmherzigkeit und die Gnade des ewigen Gottes.
Wir haben hier keine bleibende Stadt: Das erkenne ich gerade deutlich.
Sondern wir suchen die zukünftige: Das will ich mir vor Augen halten. Vielleicht gibt mir das in dieser unsicheren Welt, dieser unsicheren Zeit, neue Sicherheit. Amen

 

Passende Lieder zum anhören und mitsingen:

Bis ans Ende der Welt, bis ans Ende der Zeit“ (N 6)

Da wohnt ein Sehnen tief in uns“ (N 116) zu hören unter: https://www.youtube.com/watch?v=vAAI0Oiv19M

Lasset uns mit Jeus ziehen“ (EG 384) zu hören unter: https://www.youtube.com/watch?v=1m3X3cBsPb8

 

1. Lasset uns mit Jesus ziehen,

seinem Vorbild folgen nach,

in der Welt der Welt entfliehen

auf der Bahn, die er uns brach,

immerfort zum Himmel reisen,

irdisch noch schon himmlisch sein,

glauben recht und leben rein,

in der Lieb den Glauben weisen.

Treuer Jesu, bleib bei mir,

gehe vor, ich folge dir.

 

2. Lasset uns mit Jesus leiden,

seinem Vorbild werden gleich;

nach dem Leide folgen Freuden,

Armut hier macht dorten reich,

Tränensaat, die erntet Lachen;

Hoffnung tröste die Geduld:

Es kann leichtlich Gottes Huld

aus dem Regen Sonne machen.

Jesu, hier leid ich mit dir,

dort teil deine Freud mit mir!

 

3. Lasset uns mit Jesus sterben;

sein Tod uns vom andern Tod

rettet und vom Seelverderben,

von der ewiglichen Not.

Lasst uns töten hier im Leben

unser Fleisch, ihm sterben ab,

so wird er uns aus dem Grab

in das Himmelsleben heben.

Jesu, sterb ich, sterb ich dir,

dass ich lebe für und für.

 

4. Lasset uns mit Jesus leben.

Weil er auferstanden ist,

muss das Grab uns wiedergeben.

Jesu, unser Haupt du bist,

wir sind deines Leibes Glieder,

wo du lebst, da leben wir;

ach erkenn uns für und für,

trauter Freund, als deine Brüder!

Jesu, dir ich lebe hier,

dorten ewig auch bei dir.

 

Text: Sigmund von Birken 1653

Melodie: Sollt ich meinem Gott nicht singen (Nr. 325)