Texte zum Sonntag Miserikordias Domini (26.4.2020)

Predigttext: 1. Petr 2,21b-25

Spruch zum Tag: „Ich bin der gute Hirte. Meine Schafe hören meine Stimme, und ich kenne sie und sie folgen mir und ich gebe ihnen das ewige Leben.“ (Joh 10,11a.27-28a)

Evangelium: Joh 10, 11-30

 

 

Psalm des Tages: Psalm 23 (EG 710)

Der HERR ist mein Hirte,

mir wird nichts mangeln.

Er weidet mich auf einer grünen Aue

und führet mich zum frischen Wasser.

Er erquicket meine Seele.

Er führet mich auf rechter Straße

um seines Namens willen.

Und ob ich schon wanderte im finstern Tal,

fürchte ich kein Unglück;

denn du bist bei mir,

dein Stecken und Stab trösten mich.

Du bereitest vor mir einen Tisch im Angesicht meiner Feinde.

Du salbest mein Haupt mit Öl und schenkest mir voll ein.

Gutes und Barmherzigkeit werden mir folgen mein Leben lang,

und ich werde bleiben im Hause des HERRN immerdar.

Amen.

 

 

Predigt

Liebe Gemeinde,

Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln“. Das hätten wir heute miteinander gebetet, wenn wir in der Kirche Gottesdienst hätten feiern dürfen. Es ist der Sonntag Miserikordias Domini, und an diesem Tag wimmelt es normalerweise in der Kirche nur so von Schafen und Hirten: Der Herr ist mein Hirte. Christus spricht: Ich bin der gute Hirte. Weil ich Jesu Schäflein bin.

Und ich merke beim Nachdenken über diesen Tag, dass mir in der aktuellen Situation jede Art von Hirtenromantik komplett gegen den Strich geht. Ein sanft lächelnder, weiß gewandeter Hirte, der auf einer grünen Wiese ein Lamm liebevoll auf den Schultern trägt… Das geht einfach nicht angesichts von so vielen Toten und Infizierten. Das geht einfach nicht angesichts der vielen Menschen, die wirtschaftlich vor dem Nichts stehen. Angesichts der Schüler, die um ihre Abschlüsse bangen. Angesichts der Frauen, die in den überfüllten Frauenhäusern keine Zuflucht mehr finden vor häuslicher Gewalt.

Ich finde es mühsam, das Beides zusammen zudenken: den sanften Hirten und die krasse aktuelle Situation. Mühsam finde ich deshalb auch den heutigen Predigttext. Er steht im 1. Petrusbrief im 2. Kapitel und es geht – natürlich – um Jesus als den guten Hirten:

 

Jesus hat euch ein Beispiel gegeben, damit ihr ihm in seiner Fußspur nachfolgt. Er hat keine Schuld auf sich geladen und aus seinem Mund kam nie ein unwahres Wort. Wenn er beschimpft wurde, gab er es nicht zurück. Wenn er litt, drohte er nicht mit Vergeltung. Sondern er übergab seine Sache dem gerechten Richter. Er selbst hat unsere Sünde

mit seinem eigenen Leib hinaufgetragen an das Holz. Dadurch sind wir für die Sünde tot

und können für die Gerechtigkeit leben. Durch seine Wunden seid ihr geheilt. Ihr wart wie Schafe, die sich verirrt hatten. Aber jetzt seid ihr zu eurem Hirten und Beschützer zurückgekehrt.“ (1. Petrus 2,21b-25; Basisbibel)

 

 

Ihr wart wie Schafe, die sich verirrt hatten. Aber jetzt seid ihn zu eurem Hirten und Beschützer zurückgekehrt.“ lese ich und denke: Zurückgekehrt sind wir doch noch lange nicht. Im Gegenteil, ich habe eher das Gefühl, wir verlaufen uns grade mehr und mehr. Es wäre schön, zurückzukehren zu irgendwas Bekannten. Zur Normalität. Zu Gottesdiensten. Und ja, es wäre auch schön, zurückzukehren zu IHM. Wunderschön sogar. Aber wie kann das gehen, wenn die Welt und der Alltag grade so völlig in Trümmern liegen?

 

Der Predigttext stellt solche Fragen nicht. Der fragt gar nicht. Der Text behauptet das einfach: Ihr SEID zu ihm zurückgekehrt. Zu Eurem Hirten. Zu Eurem Beschützer.

Zurückgekehrt – schon in dem Wort schwingt für mich viel mit. Zurückgekehrt – ich höre: Heimgekehrt. Zurückkehren kann ich ja nur irgendwohin, wo ich schon einmal war. Zurückkehren, das heißt auch: Nach Hause kommen. Zu einem lieben Menschen, an einen vertrauten Ort. Weil ich weiß: Hier gehöre ich hin. Hier geht es mir gut. Hier bin ich daheim.

 

Das klingt gut. Und das klingt besonders gut grade jetzt, wo eine andere Art von Rückkehr in immer weitere Ferne rückt: Eben die Rückkehr zur Normalität. Ja, die Schulen laufen wieder an. Aber eine echte Rückkehr ist das nicht: Mundschutz, Abstand, kleinere Klassen, andere Lehrer… das wird alles, aber nicht normal. Und ja, wir werden vermutlich ab Mitte Mai wieder Gottesdienste feiern können. Aber wie? Mit maximal 20 Besuchern? Oder doch 30? Ich weiß es noch nicht. Aber es wird wohl Desinfektionsmittelspender am Eingang geben. Wir werden einzeln sitzen müssen. Kein Abendmahl feiern, keine Taufen. Uns nicht mit Handschlag begrüßen, nicht umarmen. Es wird schwer werden, so wirklich zu Gemeinschaft und Sich-Zuhause-Fühlen zurückzukehren!

 

Wir wissen nicht, wann und wie – und ob überhaupt je – wir eine echte Rückkehr zur Normalität erleben. Und jetzt, wenn ich mir das klar mache, merke ich zum ersten Mal, wie das, was der Predigttext sagt, doch wichtig für mich wird.

Ihr seid zurückgekehrt zu Euren guten Hirten“ steht da. Und ich höre: Heimgekehrt. Der Text setzt das voraus, ohne es auszusprechen: Ihr gehört zu Jesu, zu Eurem guten Hirten. Bei ihm habt Ihr Euren Platz, bei ihm seid ihr daheim.

Das wird nicht diskutiert, nicht hinterfragt, es wird einfach als Tatsache angenommen. Ist doch logisch, weiß doch jeder…

Ich weiß das nicht immer. Und deshalb tut es grade jetzt gut, daran erinnert zu werden. Ich gehöre zu Jesus, ich habe dort meine Heimat. Alles andere – die Verlorenheit, die Zweifel, die Sorgen, sind nur Umwege. Bei ihm aber bin ich zuhause.

Als Christen ist das der Grund unserer Existenz. Wir gehören zu Jesus und damit gehören wir zu Gott. Nur deshalb können wir leben.

 

Das ist keine absolute Sicherheit. Das erleben wir ja grade jeden Tag in dieser Krise. Das Bild vom guten Hirten ist kein perfektes Bild einer perfekten Welt. Es geht eben nicht um eine grüne Wiese mit kitschigen weißen Lämmern. Der Platz, den Jesus uns bei sich anbietet, ist keine rosarote Wolke aus Glück.

Ja, dieser Platz bei ihm IST oft genug ein Zufluchtsort, ein Zuhause. Ein Ort, an dem ich mich bergen kann vor dem Bösen der Welt. Aber genauso oft ist das, was Jesus uns anbietet, eine Zumutung. Denn Jesus mutet uns die Realität zu. Er mutet uns zu, als seine Schafe in dieser Welt zu leben. So, wie die Welt halt ist. Und sie ist nun mal keine Spielwiese. Das weiß Jesus ja nur zu gut. Und deshalb muss auch ich es wissen: Ich darf mich jetzt, in dieser Krise, nicht ins warme weiche Bett kuscheln und so tun, als wäre alles ok. Ich bin bei Gott geborgen, aber das hat mit Bequemlichkeit und Rund-Um-Versicherung nichts zu tun.

 

Im Predigttext heißt es gleich am Anfang:

Jesus hat euch ein Beispiel gegeben, damit ihr ihm in seiner Fußspur nachfolgt.“

Das ist nicht gemütlich. Das ist alles andere als bequem. Und der gute Hirte, der uns hier begegnet, sitzt nicht freundlich lächelnd auf einem Stein und streichelt seine niedlichen Schäfchen. Im Gegenteil: Dieser Hirte steht auf, er geht vorwärts und er wählt dazu nicht den einfachen Weg.

 

Mir gefällt dieses Bild vom guten Hirten. Es ist lebendig. Da passiert was. Da ist jemand unterwegs zu den Menschen, jemand, der es sich nicht leicht macht, sondern konsequent das tut, was richtig ist. Und wir sollen mitgehen. Aufstehen, losgehen und immer wieder schauen: Was ist gut? Wie können wir leben? Wie können wir mit anderen umgehen?

Nein, es ist nicht ok, immer und immer wieder den gleichen Fehler zu machen.

Nein, es ist nicht ok, die Unwahrheit zu sagen.

Nein, es ist nicht ok, zurück zu schimpfen, wenn mich jemand geärgert hat.

Nein, es ist nicht ok, aufzurechnen und abzuwägen.

Denn Jesus, unser guter Hirte, hat es anders gemacht. Und er erwartet, dass wir seinem Beispiel folgen.

Aber – und das ist das Wichtigste: Wenn es uns nicht gelingt, ist und bleibt er trotzdem unser guter Hirte und wir können jederzeit zurückkehren zu ihm. Mit unseren Erfolgen aber auch mit unserem Scheitern.

 

DIESES Bild vom guten Hirten hat eine Menge zu tun mit dem, was grade auf unserer Welt los ist. Mit den Kranken und den Abgehängten, mit der Angst und den Aggressionen der Menschen. Und vor allem hat es eine Menge zu tun mit mir – wie ich leben will und wie ich leben kann.

Ja, die Geborgenheit, die Jesus mir als mein guter Hirte anbietet, ist nicht immer bequem. Oft genug ist es eine mühsame, eine anstrengende Geborgenheit. Eine, die mich fordert und herausfordert. Das ist nicht das, was ich mir in meiner Bequemlichkeit wünschen würde. Aber so ist das eben bei einem wirklich guten Hirten. Er macht es mir nicht immer einfach – weil die Welt und das Leben nicht immer einfach sind. Aber egal, was ich tue oder nicht tue, ich weiß: Er ist für mich da. Er liebt mich ohne Vorbedingungen. Ich gehöre zu ihm.

Amen.

 

 

 

Liedvorschläge zum anhören oder mitsingen:

EG 652 „Weil ich Jesu Schäflein bin“

anzuhören auf https://www.youtube.com/watch?v=wfQm-Qe7s4Y

 

EG 168 „Du hast uns, Herr, gerufen“

anzuhören auf https://www.youtube.com/watch?v=6CvnReSvQdE

 

NL 123 „Du bist mein Zufluchtsort“

anzuhören auf https://www.youtube.com/watch?v=0sWWOYtUGAQ

 

NL 124 „Du bist ein wunderbarer Hirt“

anzuhören auf https://www.youtube.com/watch?v=tlmAQ5noxCs