Kurzansprache Psalm 31.I im musikalischen Gottesdienst am 11.07.2021
von Pfarrerin Deborah Martiny

Predigttext: Psalm 31 (in Auswahl) und die Solo-Kantate „Herr, auf dich traue ich“ von Buxtehude


„Neige deine Ohren zu mir, eilend hilf mir!“
Da braucht jemand dringend Hilfe. Da geht es jemandem richtig schlecht.
„Lass mich nimmermehr zuschanden werden!“ schreit der Psalmbeter.

Der traut sich was!
Ich habe in den letzten Monaten die Erfahrung gemacht: Wenn ich zu laut und zu deutlich sage, wie schwierig ich die Situation finde, wird das nicht von allen gern gehört.
„Was bringt es denn rum zujammern?“ wurde mir da gesagt. „Es geht uns doch gut.“ „Wir sollten uns nicht so anstellen.“ „Zähne zusammenbeißen.“ „Nach vorne schauen.“ „Grade die Kirche sollte den Menschen doch sagen, wie gut wir es haben…“ und so weiter.

Das könnte man dem Psalmbeter ja auch alles mal sagen: „Hey, nicht so anstellen bitte, wird schon wieder!“ Und wenn wir schon dabei sind, könnten wir auch Buxtehude noch schnell die Meinung geigen: „So ein trüber Text für eine Kantate, geht das nicht ein bisschen fröhlicher und zuversichtlicher?!“

Sie merken, ich finde das schwierig, dieses „Ist doch nicht so schlimm, wird schon wieder.“
Und ich finde es schlimm, wenn Sorgen und Klagen als Anstellerei und Rumgejammer abgetan werden.

„Hilf mir, Herr. Neige deine Ohren zu mir. Sei mir ein starker Fels und eine Burg. Rette mich.“
Wir brauchen einen Ort, an dem wir so Sätze sagen dürfen.
Und wir brauchen jemanden, der sich das anhört.
Wir brauchen jemanden, der unsere Klage hört und annimmt und versteht.
Der uns annimmt und versteht mit den schweren und dunklen Gedanken und Gefühlen, die wir ihm bringen.

Es ist gut, dass es Psalmen wie den Psalm 31 gibt.
Es ist gut, dass Buxtehude und andere Musiker sich immer wieder auch diese schwierigen, traurigen, klagenden Texte vorgenommen haben.

Denn wohin sollen wir sonst gehen mit dem, was uns belastet?!
Unsere Gesellschaft ist ausgerichtet auf Leistung. Wer stark ist, wer was aushält, wer Leistung bringt, ist gut. Wer traurig ist, wer versagt, ist raus. Das geht ja schon in der Schule los. Und prägt unser Miteinander in allen Lebensbereichen.
„Wie geht es dir?“ „Gut, alles in Ordnung.“ Eine andere Antwort ist kaum möglich.

Vor Gott schon.
„Rette mich. Hilf mir. Es geht mir nicht gut.“
Zu Gott können wir das sagen.
Vor Gott können wir das singen.
Zu ihm können wir das bringen.

Weil wir wissen: Er ist für uns da.
Er HAT uns errettet, er HAT uns geholfen, er IST unser starker Fels und unsere Burg.

Der Psalmbeter wechselt ja in den paar Versen mehrfach hin und her – schafft, es Klage und Dank, Angst und Vertrauen in ein paar wenige Verse und Worte zu packen:
Rette mich, Gott – du hast mich erlöst.
Hilf mir – du bist meine Stärke.
Ich traue auf dich – ich bin fröhlich über deine Güte.


Es ist wichtig, nicht beim Klagen stehen zu bleiben.
Denn dann wird es eine Abwärtsspirale.
Dann wird es wirklich „Rumgejammer“.
Wenn ich nur noch sage, was alles schlecht und furchtbar ist, dann wird es auch alles immer schlechter und furchtbarer.
Dann stürzen wir ins Nichts.

Das tun wir als Christen aber nicht. Nie.
Denn da ist immer Gott, der uns auffängt.
Unser starker Fels und unsere Burg.
Unser Erlöser und Retter.

Der Psalmbeter – und daran angelehnt Buxtehude – spannt den Bogen weit auf:
Von der Klage bis zum Dank.
Von der Trauer bis zur Fröhlichkeit.
Vom Jammern zum Loben.

Das ganze Leben findet hier vor Gott seinen Platz:
Alle Trauer und alle Angst, aber auch Hoffnung und Glück.
Das alles gehört zum Leben dazu – das alles können wir zu Gott bringen.

Liebe Gemeinde,
ich weiß nicht, wo in diesem weiten Bogen IHR Platz heute morgen ist.
Wo Sie sich vom Psalmbeter und von Buxtehude angesprochen fühlen.
Ob Ihnen das „Rette mich!“ näher ist oder das „Ich freue mich!“

Beides ist richtig.
Beides ist wichtig.
Beides sollen wir Gott sagen.
Amen.